Hierarchie – Eine Geschichte voller Missverständnisse


Warum Hierarchien nicht das Ende der Welt bedeuten

Zugegeben – dieser Post hat eine leicht impulsive Konnotation und ich gebe mir redlich Mühe keinen Rant zu produzieren. Den Impuls für diesen Post erhielt ich durch eine Diskussion  über die scheinbare Dichotomie von Hierarchie und Heterarchie, welche von Conny Dethloff in Twitter initiiert wurde. Ich garantiere aber wie immer für nix, denn der eine oder andere Ko-Primat könnte sich durchaus auf den Schlips getreten fühlen.

Ich beobachte mit wachsender Verwunderung, wie die beiden Pole “New Work” vs. “Old Work” umeinander kreiseln. Polemisierend zusammengefasst: Für die einen wird zu wenig mitbestimmt, für die anderen wird zu viel gekuschelt. So weit, so normal. Leider. Denn in der gesamten Diskussion wird implizit immer über die Begriffe Hierarchie und Selbstorganisation (bzw. Mitbestimmung) gesprochen, ohne eine saubere Klärung bzgl. des Begriffs Hierarchie und seiner Funktion vorab zu führen. Der Begriff muss in diesem Zusammenhang für eine ganz andere Diskussion herhalten, nämlich die Frage hinsichtlich der ethischen Grundlagen und Werte der Organisation.

Somit möchte ich eine hoffentlich eingängliche Definition der Bedeutung und Funktion von Hierarchie hier niederzuschreiben, damit diese Erregungsschleifen ein Ende finden könn(t)en. Die folgende Visualisierung ist durch Frederik Vesters Buch Die Kunst vernetzt zu denken inspiriert. Möglicherweise dient diese plakative (nicht triviale!) Darstellung dazu, die scheinbaren Zwänge der zweiwertigen Logik zu überwinden und “wirklich” verbindend die Phänomene der Organisation zu betrachten. Die alleinige Entweder-Oder-Denke ist schlicht nutzlos, um organisatorische Komplexität zu begreifen – das Leben ist halt mehr als ein Verzeichnisbäumchen.

Vorbemerkung: Ich beschreibe es KIV-kompatibel, wie ich es einmal von einem “hohen Tier” lernte:
Für Kinder, Idioten und Vorstände.

Netzwerke und Stabilität

In der folgenden Grafik erscheinen Punkte. Die können alles mögliche sein – Menschen, Abteilungen, Bereiche, Unternehmen, what ever. Dieser Einheiten tun etwas miteinander: Sie schöpfen gemeinsam in irgendeiner Form Werte. Wenn nun die Verbindungen zu schwach ausgeprägt wären, reichen schlimmstenfalls kleine externe Störungen aus, um Einzelteile aus dem Gesamtgefüge herauszulösen. Das buchstäbliche Kartenhaus fällt in sich zusammen. Im besten Fall arbeitet die Organisation nur ineffektiv und ineffizient. Der Zweck der Organisation kann auf diese Weise schwerlich verfolgt werden, da dieser auf die Zusammenarbeit der einzelnen Elemente angewiesen ist (diese Struktur könnte man übrigens auch der Silo-Kultur zuordnen, aber das ist ein ganz anderer Gedankengang). Letztendlich findet ein ungenügender Informationsfluss statt, d.h. die erforderliche Varietät zur Erlangung von steuernder Kontrolle ist zu gering. In solchen Konstellationen könnte man fragen, ob es überhaupt einen Zweck gibt, welcher den Laden zusammenhält.

 

Netzwerk Hierarchie.001

 

Die nächste Darstellung zeigt ein “überverbundenes” System. Es ist davon gekennzeichnet, dass Prozeduren und Zuständigkeiten immer nur situativ entschieden werden und jeder versucht alles zu erledigen, weil es ja im Moment irgendwie weitergehen muss. Jeder Teilnehmer eines solchen Systems operiert permanent am Rande der Überforderung (= die kontinuierlich in Anspruch genommene Varietät ist zu hoch) und durch die Absenz von puffernden Bereichen können auch hier wieder kleinste Störungen die Gesamtleistung des Systems enorm beeinträchtigen. Nicht vorhergesehene Wechselwirkungen innerhalb der Struktur eskalieren schnell und münden im schlimmsten Fall in einem Kollaps des Gesamtsystems.

 

Netzwerk Hierarchie.002

 

Offensichtlich gibt also einen Bedarf nach einer “flexiblen” Struktur im Sinne einer funktionalen Verteilung von Kompetenzen, Fähigkeiten, Verfügbarkeiten und Ausfallsicherheiten. Die Organisation sollte daraufhin ausgerichtet sein die Komplexität genau von dem MENSCHEN, mit der KOMPETENZ, an dem ORT und zu dem ZEITPUNKT absorbieren zu lassen. Jeder Teilnehmer erfüllt durch seinen Teilzweck den Gesamtzwecks des Systems – dies erzeugt stabile Verhältnisse, die das erreichen von gewünschten Zielwerten überhaupt erst in Gang setzen. Es geht um die offenkundige Binsenweisheit, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Einzelteile ist.

 

Netzwerk Hierarchie.003

 

Hierarchie und Heterarchie sind einander bedingende Phänomene, die einander nicht ausschließen, sondern zusammengedacht gehören. Zentrale Rahmenbedingungen und lokale Autonomie sind zwei Seiten der gleichen Medaille die untrennbar miteinander verbunden sind. Ralf Westphal hat das Phänomen der Hierarchie sehr schön als Werkzeug bezeichnet. Es ist also eine Frage der Intention des Nutzers wie das Werkzeug der Hierarchie genutzt wird, um Stabilität zu erzeugen. Klug strukturierte Systeme (Hierarchien mit selbstorganisierten Elementen) sind offensichtlich besser in der Lage mit known unknowns und unknown unknows umzugehen.

Die eigentliche Frage dreht sich ums Menschenbild und die damit einhergehenden Werte und ethische Fragestellungen. Denn frei nach Stafford Beer bestimmt das “Ethos-System” als ultimative Autorität über die Art und Weise wie Zusammenarbeit gestaltet wird: Wird der Mensch als “Kapital” betrachtet, dass man analog zur Tierindustrie nur gut halten muss, damit ‘es’ brav leistet, oder gilt Menschsein mit all seiner Paradoxie als Wert (und Schatz), den es zu beleben gilt. Irgendwie muss ich bei diesen Überlegungen immer an Lawrence Kohlberg und sein Stufenmodell der moralischen Entwicklung denken.

Konklusio: Hierarchie ist allgegenwärtig

Eine pauschale Verteufelung von Hierarchien ist genau so wenig zielführend wie die grenzenlose Forderung nach Mitbestimmung. Formell braucht es eine sinnvolle Balance von zentraler und dezentraler Macht, damit die Fähigkeiten aller Mitglieder der Organisation zur Zielerreichung auf anti-fragile Weise miteinander verkoppelt werden können. Und letztendlich weisen alle mehr oder weniger erfolgreichen lebensfähigen Systeme entsprechende Muster von Autonomie und Hierarchie auf – es geht ja gar nicht ohne, das ist der eigentliche Witz an der Geschichte! Selbstorganisation ist bereits Realität, oft genug findet diese dann entweder in Teeküchen oder in den berühmten Hintergrundgesprächen statt, sie ist mithin nicht transparent genug um verschwendungsfrei zu funktionieren. Perfiderweise begünstigt das auch noch die Entwicklung von höfischen Ritualen.

Eine meiner Lieblingsfragen lautet daher: Was ist der Preis den eine Organisation zahlen muss, um die interne Stabilität der Struktur zu gewährleisten? Wieviel Fähigkeiten bleiben ungenutzt, weil kurzfristiges “Reparaturdienst-Verhalten” von der Lösung der wichtigen Probleme abhält? Wie viel Potenzial wird im wahrsten Sinne des Wortes pro Zeiteinheit verbrannt, um den Zweck der Organisation zu erreichen?

Und Obacht bitte: Der Zweck wird leider nur allzu gern mit den Zielen verwechselt.

Die Frage nach dem “Warum?” ist aber im Zweifel wichtiger als die Frage nach dem “Wohin?”. Und wenn die Frage “Wohin?” lautet, dann bitte schön hin zu und nicht weg von.

 

 


3 responses to “Hierarchie – Eine Geschichte voller Missverständnisse”

  1. […] Untersuchungsmethode: Die Idee besteht darin, das VSM als “Spielbrett” zu nutzen und die SCRUM Rollen als “Spielfiguren” einzusetzen, die sich im “Spielverlauf” (Prozess) über das VSM bewegen. Auf der übergeordneten Ebene geht es darum herauszufinden, wer welche Funktion(en) zum jeweiligen Zeitpunkt zum Erhalt der Lebensfähigkeit wahrnimmt (vgl. Hierarchie als kontextuelles Phänomen). […]

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