Kommunikation über Künstliche Intelligenz in Deutschland


Oh Nein, jetzt schreibt der Lambertz auch noch über KI!

Wieder einmal stöberte ich durch die Kommentarspalten von Artikeln, die das Thema der sogenannten Künstlichen Intelligenz behandeln. Dabei ist in meiner Wahrnehmung immer wieder ein Muster in der Argumentation erkennbar: Der Mensch wird niemals eine “Generelle Künstliche Intelligenz” (AGI = Artificial General Intelligence) programmieren können.

Diese Meinung wird damit begründet, dass wir Menschen ja ohnehin mit der Komplexität des täglichen Lebens überfordert sind, sodass wir nie etwas erschaffen könnten, dass komplexer als wir selbst ist. Diese Argumentation greift jedoch zu kurz – doch bevor ich eine Disposition dazu anreiche, möchte ich noch kurz beim Argumentationsmuster bleiben. Denn dieses Argument ist im deutschen Raum häufig von hochgebildeten, sowie eher dem bürgerlich-intellektuellen Milieu angehörenden Menschen zu hören. Da schwingt in den Kommentaren bestenfalls der Kant durch, und im schlechtesten Fall wird irgendwas von “Seele”, “Gefühle” und “menschlicher Energie” gefaselt.

Damit will ich diese Phänomene nicht abwerten, nur haben diese in der Diskussion bezüglich KI nur nachrangig etwas zu suchen. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass Menschen, die so argumentieren, nicht mit der nächsten (möglichen) Kränkung der Menschheit umzugehen wissen. Man zieht in höchster Not alle Register, die der radikale Anti-Konstruktivismus zu bieten hat.

Der gekränkte Mensch

Anscheinend triggert die Idee einer nicht-menschlichen Intelligenz die existenziellen Fundamente des oben genannten Milieus. Mit Sigmund Freud gesprochen wäre dies dann die vierte Kränkung der Menschheit, die mit der Kopernikanischen Wende begann und auf welche die Evolutions- und Libidotheorie folgten. Das erstaunt mich, wenn ich den sonstigen intellektuellen Hintergrund der “Total-Verweigerer” betrachte. Das sind allesamt reflektierte und humanistisch geprägte Menschen. Allerdings frage ich mich, wo die Vorstellungskraft geblieben ist – und ob das nicht sogar im Sinne eines humanistischen Rassismus sehr hässlich sein kann (weil es unter anderem gegen die Prime Directive verstößt! ;)).

Nur als kleines Gedankenexperiment: Angenommen die Menschheit käme mit einer außerirdischen Lebensform in Kontakt, deren physiologischer Aufbau sich vollkommen von der des Menschen unterscheidet. Es wären wahrscheinlich die gleichen Atome, aber die Art der Anordnung ist den Lebensbedingungen dieser Lebensform angepasst. Würden wir diese Lebensform als unintelligent bezeichnen, nur weil sie nicht nach menschlichen Maßstäben beschaffen ist? Würden wir sie als dumm bezeichnen, nur weil die Kommunikation nicht gelingt, während ihre Technologie der Menschlichen überlegen erscheint? Wie arrogant kann ein Menschen eigentlich darin sein, ein Mensch zu sein? –> Einschub: Ich komme mir gerade wie Picard vor, der Data vor Gericht verteidigt.

Das übliche Evolutionsargument

An der Stelle in der Diskussion kommt aus dem bürgerlich-intellektuellen Milieu häufig das Argument, dass die Evolution das ja in umfzig Millionen Jahre erschaffen hat und nicht mit der Zeitspanne vergleichbar sei, die der Homo Sapiens auf der Erde rumwerkelt. Damit stoßen wir im Kern auf die uralte Debatte, ob von Menschen Geschaffenes natürlich ist. Im Milieu scheint damit ein Verständnis des Begriffs “Natur” vorzuherrschen, dass den Menschen von dieser getrennt betrachtet. Das ist ein perfekter Nährboden für eine Sprache, die Naturmedizin und Homöopathie verwechselt und Pharmakologie äußerst kritisch bis ablehnend betrachtet. Die Idee, dass der Mensch als Teil der Natur nur natürliche Dinge herstellen kann (deren Grundstoffe sowieso der Natur entnommen sind), wird offensichtlich nicht in Erwägung gezogen – und das der Mensch, und die Dinge die er herstellt oder unterlässt, auch Teil der Evolution sein könnten, wird auch unterschlagen. Natürlich eben 😉

Das Gegenargument

Was mich wirklich erstaunt das eben jene gebildeten Menschen sich nicht an den Biologieunterricht zu erinnern scheinen, denn anderenfalls hätten diese selber auf ein Gegenargument kommen können (Pardon falls das arrogant klingt, aber ich wundere mich wirklich). Kurz zur Erinnerung das typische Argument der Totalverweigerer zusammengefasst: Der Mensch versteht ja selber nicht mal was Intelligenz ist, wie soll er da etwas Intelligentes bauen? Der Mensch ist ohnehin mit der Komplexität überfordert, wie sollte er da etwas bauen können, dass besser mit Komplexität umgehen kann?

Die Genetik ist ein schönes Beispiel für den Zusammenhang zwischen Einfachheit und Emergenz. Die liefert die Erkenntnis, dass aus vier Basenpaaren eine Vielfalt an Entwicklungsmöglichkeiten kreiert werden kann, die weit über das hinausgeht, was diese Basenpaare nach Augenschein zu bieten haben. Denn es ist ein Bauplan für einen Bauplan, damit Leben sich entwickeln kann. Dies schließt nahtlos an die alte Frage an, wie Leben entstanden ist und ob es überhaupt so etwas wie eine “Ursuppe” mit (relativ einfachen) Molekülen gab, die sich “irgendwie” zu Gebilden höherer Ordnung zusammengeschlossen haben. Worauf ich hinaus möchte: Komplexität kann aus einfachen Entitäten bestehen. Es ist die Frage, wie diese einfachen Elemente miteinander in Beziehung gesetzt werden, damit “die Summe der Einzelteile etwas Anderes ist.” (frei nach Hans Ulrich).

Es gäbe noch genug weitere Beispiele, aber das Thema der Basenpaare, des Genoms und der Entwicklung des menschlichen Gehirns soll reichen um zu verdeutlichen, dass aus “dummen Einzelteilen” etwas entsteht, dass Menschen als Intelligenz bezeichnen. Damit ist widerlegt, dass Menschen niemals eine AGI erschaffen könnten, welche die Intelligenz der Menschheit übersteigt.

Fazit

Momentan verschiebt sich die Diskussion um die Chancen und die Risiken über “Algorithmen die entscheiden”, in eine arg antropozentristisch verklärte Richtung – ein technologischer Neo-Biedermeier, der verrückterweise auf Basis der Aufklärung argumentierend, den Menschen auf ein Podest hebt und dabei den Fortschritt bremst. Denn obgleich ein Großteil der Diskussion im deutschen Feuilleton über irgendwelche (“wirklich”) noch weit entfernt liegende Szenarien philosophiert, sagt selbst Geoffrey Hinton als “Erfinder” des Deep Learnings, dass die aktuellen Herangehensweisen bald an ihre Grenzen stoßen werden. Mithin wissen wir sowieso nicht, wie die Reise weitergeht und ob nach dem Hoch des Deep Learnings (und aller verwandten Aktivitäten) nun wieder ein neuer “AI Winter” folgt (wie Minsky et. al. in den 90ern). Alles wilde diskutieren rund um das Thema AGI kann man damit auf Glaubensfragen reduzieren. Und die überlasse ich lieber Religionen.

Entscheidung – Ethos – Bias

Allerdings gibt es im Rahmen dieses “Irgendwas mit AI”-Hypes ein verborgenes Thema, dass dringend bearbeitet werden muss. Spätestens an der Stelle, an der Algorithmen Menschen bewerten, egal ob als Bürger, Kunde oder als Mitarbeiter, da wird es wirklich kritisch. Wenn Freiheitsrechte eingeschränkt oder Entwicklungsmöglichkeiten behindert werden (Stichwort: AI & Recruiting HR), braucht es einen Diskurs. Der Aufruf zum “Ethical Engineering” ist alles andere als neu, aber mit der weiteren Durchdringung der Digitalisierung wird es immer wichtiger, den “Ethos des Codes” als normalen Teil in der Produktion von neuronalen Netzen zu integrieren.

 

Bildnachweis: Wikipedia


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