Spontane Notizen aus dem Urlaub


Luhmann für Kinder?

Vorab eine Relativierung: Dieser Post könnte Spuren von Tschakkaismus oder Selbstbeweihräucherung enthalten – falls dieser Vorwurf an mich gerichtet werden sollte, so kann ich nur entgegnen: Er ist schuldig in allen Punkten. Nichtsdestotrotz möchte ich eine kleine Episode teilen die sich heute auf der Rückfahrt aus DEM finnischen Vergnügungspark namens Linnanmäki ereignete. Während wir drei als Kleinfamilie wieder zurück zu unserem Häuschen am See (aka Mökki) fuhren wünschte sich der 10jährige Junge Erzählungen aus dem Leben seiner Eltern zu hören. O-Ton: „Ich habe Lust auf eine Geschichte von euch.“

Ich berichtete von ein paar schönen Erlebnissen mit Lehrern, die sich in meiner Schulzeit zugetragen haben (die übrigens auch einen eigenen Post wert wären und irgendwann verbloggt werden). Wir waren also irgendwie beim Thema Schule gelandet und es ergab sich, dass das Kind meine Frau fragte auf welcher Schule sie in Sarajevo gewesen sei und welche Fächer sie in der Oberstufe hatte.

Sie legte dar das auf ihrem Gymnasium verschiedene Fachrichtungen während der Oberstufe zur Auswahl standen und das sie sich seinerzeit für die Ausprägung „Kultur“ entschieden hatte. Als nerviger Vater wollte ich dann wissen, was denn aus Sicht des Kindes zum Kontext der Kultur einer Gesellschaft gehört und was dieser Begriff bedeuten könnte.

(Jetzt kommt die Stelle, an der man mir zurecht die zuvor benannte Beweihräucherung vorwerfen könnte.)

Der Junge begann aufzuzählen: Politik, Kunst, Sport und Recht – interessanterweise nannte er die Wirtschaft nicht in dieser Aufzählung, obgleich wir ihn manchmal liebevoll unseren “Little Ferengi” nennen – aus Gründen.

Ich will keinen Hehl daraus machen das ich hocherfreut war, denn er hatte einige Systeme im Kontext der Gesellschaft im Sinne von Niklas Luhmann fallen zu lassen. Dies ließ ich ihn auch wissen und mit einem Augenzwinkern sagte ich zu ihm, dass dieser Luhmann wohl einer der klügsten Menschen gewesen ist, von denen ich je gehört habe und wies gleichzeitig daraufhin das seine Texte zu den anspruchsvollsten gehören, die ich je gelesen habe. Ich sagte: „Das Doofe an Luhmann ist: Um Luhmann zu verstehen, muss man Luhmann verstehen“ und wollte damit auf die Selbstbezüglichkeit seiner gesellschaftlichen Theorie verweisen. Um zumindest etwas seine Neugier zu wecken sagte ich weiterhin, dass vermutlich drei Bücher von Luhmann genügen würden, um in der Schule die Lehrer zur Verzweiflung zu bringen – wohlwissend das dieser Hinweis ein entsprechendes Interesse wecken könnte (ohne ernsthaft zu erwarten, dass ein 10jähriger nun anfängt Luhmann zu lesen – aber Lehrer nerven ist immer ein guter Trigger).

Des Weiteren will ich nicht behaupten das er die Tragweite von Luhmann in diesem Kontext erfassen konnte doch ich war baff erstaunt das dieser Junge, der sich sonst (fast) nur für Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen interessiert in der Lage war, die oben genannten gesellschaftlichen Systeme spontan zu nennen. Üblicherweise bluten unsere elterlichen Ohren an einem Bundesliga-Spieltag, wenn er uns im kleinsten Detail jedes Spiel inklusive Freistößen, Ecken und allfälligen Auswechslungen darlegt.

Somit möchte ich diese Notiz mit einer Erinnerung an mich selbst beschließen: Sobald ich meinen Job in der Wirtschaft erledigt habe, möchte ich gerne „systemisches Lehrmaterial“ für Kinder entwickeln. Denn ob der Tatsache das es für manche wichtig erscheinen mag Kinder mit Sachaufgaben zu traktieren („Ein Bauer hat 12 Säcke Kartoffeln und 47 Hühner, wie viele Traktoren braucht er?“), so erscheint es mir viel dringlicher die Nachhut der Zivilisation an komplexe Zusammenhänge unserer Welt und des Universums heranzuführen. Besonders Kinder erscheinen mit besonders offen dafür zu sein, kausale Rückkopplungen zu erkunden und sich mit den Widersprüchlichkeiten der linearen Logik auseinanderzusetzen.

Ich will dabei die Welt der Mechanik und aristotelischen Logik gar nicht schelten, nur erscheint mir die ausschließliche Fokussierung auf die Entweder-Oder-Logik eine opportunistische Haltung zu befördern, die für den Fortbestand der menschlichen Zivilisation nicht förderlich ist. Kinder können in meiner Wahrnehmung viel mehr Komplexität ab, als der angepasste Erwachsene der westlichen Hemisphäre sich vorzustellen vermag.

Das soll als Notiz nun auch reichen. Ich geh‘ jetzt noch mal auf den Steg, rauche eine Zigarette und schaue mir die Perseiden an.

PS: Wer jetzt witzelnd die doppelte Kontingenz oder den tranzendentalen Vermeidungsirrtum anführt, dem möchte ich das GMV 3.0 Zertifikat für EUR 149.000.- anraten. Natürlich in Liebe. Und mit Pommes.


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