Asshole as a Service


“Das machen wir hier so nicht”

Dieser Post ist inspiriert von Stephanie Borgerts Text über Systemsprech und handelt von einer wahren Begebenheit in einem Groß-Großkonzern. Ich werde Ross und Reiter nicht nennen, da es gar nicht auf ein spezielles Unternehmen und einen speziellen Manager ankommt, sondern um die anzutreffenden Wertvorstellungen, die einige C-Level Manager an den Tag legen. Man könnte einwerfen: Mark, was regste Dich so auf, das ist doch normal! Genau das kann ich aber nicht akzeptieren – ich halte das für krank.

Aaas – ein sozialer Virus der Unternehmenskulturen befällt

Aaas, das ist mein Akronym für ein Verhaltensprotokoll, welches von mir quasi selbstbeschreibend als Asshole as a Service bezeichnet wird. Letztendlich geht es um die unfassbare Diskrepanz von Ansprüchen des Top-Managements und den offiziell verkündeten Leitbildern und dem tatsächlichen Erleben im Alltag. Da halten sich immer noch zu viele nicht an die (selbst)verordneten Regeln.

Da wird immer laut über das Streben nach Exzellenz, Effizienz und manchmal auch über die Effektivität parliert, doch das Verhalten von Top-Managern (also einigen, aber nicht allen) und die erlernten Rituale von Top-Down-Macht-Strukturen wirken den ausgegebenen Zielen diametral entgegen. Ein unglaubliche Verschwendung von Potenzial, gekoppelt mit sinnloser Verbreitung von menschlichem Leid.

Es geht um das (Selbst)Führungsmuster, das dringend entlarvt und behandelt werden muss (medizinisch gesprochen: Anamnese,  Diagnose, Prognose, Therapie).

Die  kleine Anekdote

Es ist in besagtem Großunternehmen üblich, die Korrekturphasen eines Dokuments (Powerpoint, Word, …) für einen Top-Manager (C-Level) in folgenden Prozessschritten zu vollziehen – selbstredend ist dieser Prozess nicht hinterfragbar. Das Gesetz der Straße lehrt einen, dass die Aufgabe genauso zu laufen hat:

  • Powerpoint wird nach (zumeist mündlichem) Briefing erstellt
  • Top-Manager korrigiert – den Ausdruck – schnell, handschriftlich, entsprechend lesbar
  • Sekretärin scannt den Ausdruck ein und versendet ein PDF
  • Der bearbeitende Mensch kann eine Anmerkung nicht lesen und fragt beim Ansprechpartner nach (also nicht direkt den C-Level Manager), ob er das kurz in Erfahrung bringen könne, was da steht. Es ist wie immer eilig und diese Info fehlt halt noch.

Es entsteht ein Dialog

Bearbeiter: “Können Sie da kurz nachfragen, dann mache ich das schnell fertig?”
Ansprechpartner: “Nein, das machen wir hier so nicht?”
Erstaunte Rückfrage: “Aber das ist doch total ineffizient, wenn ich diese Anmerkung nicht verstehen kann. So kann ich nicht richtig liefern. Das ist doch nur eine Verständnis/Handschrift-Interpretationsfrage, nichts Schlimmes.”
Ansprechpartner: “Ja, das stimmt, aber so ist das hier. Außerdem möchte ich Sie nicht verbrennen.”
Bearbeiter: “…”

Einige Tage später, nach der Mittagspause, wartet eine bunte Gruppe von Kollegen auf den Aufzug. Jemand sagt sinngemäß zu einem Kollegen: “Mensch, die Pause habe ich echt gebraucht, dass war heute Vormittag ein anstrengendes Meeting.”

Besagter C-Level Manager hört die Worte der Frau und sagt laut für alle Umstehenden deutlich hörbar:

Mittagspause ist für Verlierer“.

*plöff*

Und jetzt?

Was kann man gegen solche Psychopathen tun? Wer kann die stoppen? Ist es die digitale APO, die Gunnar Sohn ins Gespräch gebracht hat? Ich komme zunächst zu diesen Schlussfolgerungen:

Kurzfristig: Die Kollegen des C-Kollegen sind gefragt

Die anderen Vorstandskollegen scheinen mir die einzigen zu sein, welche diese Menschen vor den Kollegen und letztendlich vor sich selbst schützen müssen. Es braucht nach meinem bisherigen dafürhalten eine Intervention von Gleich- oder Höhergestellten. Denn die Auswirkungen solcher Gorillas sind ja auch betriebswirtschaftlich erfassbar und es zeigt sich schnell, dass die Kosten sonst einfach viel zu hoch sind (Verschwendung, Demotivation, Fluktuation, Opportunitäten, etc.).

Langfristig: Ein “neues” Manager-Ausbildungssystem?

Was es genau damit auf sich hat werde ich im nächsten Post beschreiben. Vielleicht gelingt es mir die ersten Grundlagen für eine Art Framework zu entwickeln, welches grundsätzliche Fragen zur Lebensfähigkeit in den Mittelpunkt zu rückt. Sicherlich ist das erstmal kein vollkommen neuer Gedanke, aber ich habe bisher noch keine Ausarbeitung dazu gefunden, welche die vielen Erkenntnisse über die Fehlannahmen der sogenannten Wirtschaftswissenschaften zu diesem Zweck ausprägt. Falls jemand Tipps für mich hat, dann bitte gerne immer her damit 🙂

Außerdem beschäftigt mich seit ein paar Tagen ein Kommentar von Lydia Krüger der mich zu der Frage geführt hat, ab welchem Moment in großen Organisationen sich der “normale Menschenverstand” (aka Common Sense) verabschiedet?

Um in der Virus-Metapher zu bleiben: Es müsste gelingen neue Selbst-Heilungskräfte aufzubauen und nachhaltig zu stärken. Hierzu braucht’s clevere Anti-Körper, damit der Organismus nicht durch Aaas zu Grunde geht. 😉


15 responses to “Asshole as a Service”

  1. Das ist heftig. Ich habe auch sehr viel Heuchelei erlebt: z. B. einen Oberhäuptling, der einen Vortrag über moderne Führung hielt und 5 Minuten später jemanden höchst cholerisch zusammenfaltete. Hallo, Selbstreflexion?! Die findet in der Chefetage ganz offensichtlich nicht statt. Und Feedback gibt es nicht. Sich als Untergebener (selbst innerhalb des Managements) zu wehren, ist nervenaufreibend und der Karriere nicht förderlich. Also lassen es viele.

    M.E. hilft da nur ein externer Coach, der ganz nah am Geschehen ist. Also im Alltag begleitet und später Feedback gibt. So kann die Lücke zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung geschlossen werden. Das setzt aber voraus, dass der Betroffene erkannt hat, dass er etwas ändern muss, und bereit ist, dafür unbequeme Wahrheiten über sich selbst zu hören. Und wer will das schon… Hauptsache, der Bonus stimmt.

    • Zustimmung! Bzg. Coach: Ein externer Coach kann durchaus helfen (s.a. http://intelligente-organisationen.de/wirksamkeit-von-beratung-im-viable-system-model ), aber das setzt ja voraus, dass diese Art von Führungskräften überhaupt ahnen, dass etwas falsch läuft.

      Zum Thema Feedback: Das gibt es, aber nicht Expressis Verbis. Die hintergründigen Wirkgefüge, die zu Fluktuation, Minderleistung oder gar Sabotage führen werden ausgeblendet – wie Du schon schrubtest, Hauptsache der Bonus stimmt und man ist nicht “schuld”.

      Last but not the least (etwas VSM-verstrahlte Anmerkung): Diese Art von Arschloch-Verhalten beweist, dass besonders die großen Organisationen SELBSTORGANISIERT arbeiten *müssen*, damit der Laden läuft. Denn an der Art von Führung *kann* es nicht liegen, dass das Unternehmen erfolgreich ist. 😉

  2. Solange Psychopathen und Borderliner an die Spitze gelangen können durch das Kaminkarrieren-System der Deutschland AG, solange wird sich an den Machtverhältnissen in Unternehmen nichts ändern. Deshalb braucht man zumindest für Kapitalgesellschaften andere Regeln bei der Nominierung von Vorständen. Also frei nach Popper, wie müssen Institutionen organisiert sein, damit Top-Manager nicht allzu großen Schaden anrichten.

    • Absolut. Es braucht bei diesen Gesellschaften neue/andere (nicht mehr) Regeln 🙂

      Zu Popper fällt mir das 1. Prinzip des Viable System Modells ein:

      „Varietäten des Managements, der Operation und der Umgebung TENDIEREN DAZU, durch ein institutionelles System zu diffundieren; diese Varietäten sollten derart gestaltet sein, dass sie geringste Schäden für die Menschen und die Kosten verursachen.“

      Beer nennt zuerst den Menschen und dann die Kosten.

  3. guten Morgen,
    da ich persönlich so ein Level Manager war, macht das betroffen. ich forsche im Gedächtnis nach Personen und eigenen Reaktionen nach langer Fihrungsverantwietung.
    Zwei Dinge bewegen mich:
    – gibt es Lernkurven ?
    – es fängt mit der Auswahl der Nachwuchsmangel ?
    Das muss ich mit Herrn Lambertz reflektieren , vielleicht sogar persönlich !

    • Dito guten Morgen,

      ja es hat m.E. etwas mit der Auswahl der Nachwuchskräfte bzw. dem gesamten Ausbildungssystem zu tun – ich muss jedoch noch etwas weiterdenken, denn zur Zeit kann ich nur schemenhaft ein Wirkgefüge erkennen. Zur Präzisierung braucht’s noch etwas Zeit. Eine persönliche Reflexion klingt spannend – würde mich sehr freuen. 🙂

      Herzliche Grüße,
      ML

  4. In den Kommentaren sind sehr viele Blaming- und Bashing-Anteile und es wird den einzelnen FK die Verantwortung übertragen. Die verhalten sich jedoch systemkonform. Wir haben meines Erachtens kein Managerproblem, sondern ein Systemproblem. Solange wir es singulär betrachten und nach Ausbildung rufen, wird sich nichts ändern. Erst wenn die Systeme (also Bedingungen und Prinzipien) sich ändern, ändert sich Verhalten.

    • Auf jeden Fall geht es um mehr als nur die “Ausbildung”. Diese ist IMHO Teil des Systemproblems und sicherlich nicht das Allheilmittel. Daher schrieb ich: Ich muss noch weiter nachdenken und ein wenig mit Causal Loop Diagrams visuell denken.

      Da sind noch weitere Fragemente im Kopf wie z.B. das große Missverständnis über Adam Smiths “Wohlstand der Nationen”, das m.E. sehr stark unsere Interpretation von Wirtschaft geprägt hat.

      Im Kern dreht es sich dabei ums Menschenbild, ich komme da immer wieder drauf zurück.

      Last but not least: Das Bashing möchte ich auch vermeiden, aber bei manchen Exemplaren (nicht allen) fällt es schwer mich zu beherrschen 😉

      Ich arbeite aber weiter dran 🙂

  5. Agree, am Ende des Tages landen wir in allen Diskussion (vor allem auch mit den Organisationen) beim Menschenbild. Ich persönlich bin halt echt müde, was so Ideen von “ein Coach kann helfen” oder “Qualitätsmanagement reißt es raus” etc. angeht. Das ist alles Symptombehandlung und unsystemisch gedacht.
    Auf der anderen Seite: Lästern gehört zur Psychohygiene. Da bin ich auch nicht heilig…. oder zumindest nicht immer! (-:

    • LOL & Zustimmung: Symptombehandlung kann in Notsituationen kurzfristig sinnvoll sein, aber nachhaltig ist das nicht. Bzw. wie es bei Dörner so schön heisst: “Reparaturdienstverhalten”. Man tut etwas und ist furchtbar beschäftigt, aber leider kümmert man sich um die falschen Probleme. Hach, ich könnte mich schon wieder in Rage schreiben 😉

  6. Vielen Dank für die interessanten Beiträge. Dazu möchte ich anmerken:
    Wir handeln aufgrund von Glaubenssätzen, die wir gar nicht kennen. Das Diktieren von Werten führt zu nichts. Höchstens zum Gegenteil. Was innerhalb des sozialen Systems Unternehmen tatsächlich gelebt wird, kann kein Postulat und sei es noch so gut gemeint, jemals zielgerichtet verändern.

    • Hmmm… ich meine es ist möglich an diese Glaubenssätze heranzukommen. Sicherlich erfordert das sehr viel Reflektionsvermögen.

      Bzgl. Postulat: Zustimmung, das funktioniert nie. Werte kann man m.E. aber erfahren, frei nach dem Motto: Im Tun (und Nicht-Tun) zeigt sich das Wertemodell.

    • Wir handeln (auch) aufgrund von Glaubenssätzen. Agree. Mit zunehmender Reflexion kennen wir viele davon, hoffentlich. Und das gilt auch für Teams (also soziale Systeme). Die sog. Hochleistungsteams reflektieren sehr intensiv, auf Basis welcher Werte, Überzeugungen & Co. sie denken und handeln. Stellen sie dann fest, dass ein GS nicht hilfreich oder sogar hinderlich ist, beginnen sie ihn zu verändern. Das ist ein Prozess, der viel intensiven Diskurs bedeutet. Geht, aber nicht von Jetzt auf Gleich.

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