Strategie neu definiert


Über den Sinn des Begriffs ‘Strategie’

Ich komme gerade von der Düsseldorfer Komplexitäts-Denkrunde nach Hause und habe heute eine interessante Diskussion zum Thema Strategie und der Bedeutung derselben geführt. Die Diskussion entsprang einer Super-Mini-Schnell-Vorstellung des Modells, die ich auf vier “Ebenen” reduziert hatte (Neues-Narrativ-Real-Time-Testing).

Eine Reduktion

Die Ebenen des Modells hatte ich folgendermaßen aufs Whiteboard gezeichnet:

  • Vision, Werte, Identität (System 5)
  • Strategie (System 4)
  • Taktische Planung (System 2, 3, 3*)
  • und die Wertschöpfung (System 1)

Mithin habe ich die Variante des “Throns” (siehe hier) verwendet um mich auf die Management-Aspekte des VSM und der Handhabung von Komplexität zu fokussieren. Hierbei hatte ich die strategische Funktion des Systems 4 hervorgehoben und traf auf Widerstand. In kurz bzw. das was bei mir ankam: Der Terminus selbst ist überholt und passt nicht in aktuelle Modelle/Theorien.

Ich vermute, dass ich mir diese Anmerkung einfing, weil ich neben den Ebenen eine  Spalte aufmalte, welche die zeitliche Dimension beispielhaft beschreiben sollte. Hierbei wies ich den vier Elementen folgende Zeiträume bzgl. ihrer “Gültigkeit” zu:

  • Vision: Unendlich (selbstredend unterliegt diese natürlich auch einer täglichen Prüfung, darauf wies ich hin)
  • Strategie: 1 Jahr
  • Taktische Planung: ein Quartal oder Monat
  • Wertschöpfung: Täglich

Im Nachgang verdichtet sich bei mir der Eindruck, dass der widersprechende Mensch sich vor allen Dingen an dieser zeitlichen Darstellung stieß und dem impliziten (möglichen) Verständnis von Strategie, dass ich damit darstellte (“Jahresplanung, böse”).

Wenn diese Annahme stimmt, dann hätten wir uns eigentlich Zeit nehmen müssen diesen Begriff zu klären, doch es passte leider nicht. Ich hoffe auf eine Fortsetzung beim nächsten Mal!

Ich möchte daher eine Metapher anreichen welche hoffentlich brauchbar ist, um  Intention und mein Verständnis des Begriffes inkl. seiner Funktion zu vermitteln. Hierzu möchte ich den Prozess (in Sinne von Handeln, Interaktion mit System-Elementen) des Autofahrens dazu benutzen wie ein Mensch als lebensfähiges System implizit die Muster des VSM durchläuft – weil wir es gar nicht anders können (Hossa! Steile These, ich weiss…).

Autofahren

Angenommen ich möchte mit dem Auto nach der Arbeit nach Hause fahren. Dann stellt sich schon zu Beginn implizit die Frage: Was ist mein Leitwert bei der Heimfahrt? Technisch formuliert: Was ist der normative Input in das System? Dualistisch formuliert: Besteht mein Hauptziel in der Herstellung des Zustandes “Sicherheit”? Oder gibt es drängende “Gründe” die mich zur Eile treiben und in der letzten Konsequenz Risiken eingehen lassen um schneller voranzukommen?

Aus dieser Wert-Entscheidung leite ich dann meine Fahrt-Strategie ab: Fahre ich bevorzugt auf dem rechten Streifen im Cruise Mode oder nutze ich so oft wie möglich die linke Spur? Optimiere ich mein Fahrverhalten auf den größt- und kleinstmöglichen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug? Beschleunige ich stark oder wenig?

Dies korreliert übrigens mit dem nächsten Wert ‘Umweltbewusstsein’. Das heisst Werte interagieren natürlich auch miteinander: Werte sind selten ein einzelner ‘Input’ für das System 5.

Nachdem ich meine Strategie “festgeleg!t habe (bis ich diese aufgrund eines anderen Werts ändere), werde ich also mein taktisches Verhalten im Verhältnis zu den anderen Verkehrsteilnehmern (Umwelt) entsprechend anpassen und den ‘Output’ Sicherheit oder Geschwindigkeit zu erreichen versuchen. Hierbei muss ich taktisch auf die Umwelteinflüsse reagieren – und im besten Fall implizit/unbewusst handeln um den relativ wichtigsten Wert – den des Selbsterhalts – nachzukommen.

Natürlich ist der Drang nach Selbsterhalt im psychischen System tief verankert, aber auch nicht unverrückbar. Wenn ein externer Umwelteinfluss wie z.B. ein spätes Ausscheren vor einem LKW auftritt ist es denkbar, dass das psychische System einen neuen Wert als relevanter als den vorherigen Input erachtet, das heisst: Statt ‘Sicherheit’ ist nun der Wert ‘Empörung, Rache’ stärker als der initiale Input. Werte können in diesem Sinne jederzeit überschrieben werden, je nach Grad der externen Störungen. Natürlich können sich ebenso durch interne Einflüsse Werte ändern, aber dies soll in der Metapher keine Rolle spielen.

Der Punkt ist: Auf Basis des neuen Input verändert sich die Strategie (bleibe max. 5mm von der Stoßstange entfernt), was für das Taktische Management (= Planung) bedeutet eine entsprechende Koordination meines  rechten Unterschenkels sicherzustellen, um diesen angepeilten Abstand halten zu können.

And the Fazit?

IMHO: Der Clou besteht darin sich die drei Systeme als parallele Entitäten vorzustellen, welche in ‘Echtzeit’ miteinander verkoppelt sind. Somit gehen die drei Management-Ebenen ‘natürlich’ fließend ineinander über und sind dito gleichzeitig mit der Umwelt verbunden. Die zentrale Funktion des ‘Sehens was kommen soll und tatsächlich kam’ ist mein Verständnis des Begriffs Strategie. Sie ist Teil einer Management-Syntax die angelehnt an das vorherige Beispiel sich derart formalisieren ließe (und ich glaube auch generalisieren läßt):

Durch den Wert X wird die Strategie Y eingegrenzt und somit die Handlung Z ausgelöst, wobei Z permanent die Gültigkeit von X und Y überprüft (und im besten Fall auch bei ‘falschen’ Ergebnissen korrigiert = Feedback zurückspielt – explizit und nicht nur implizit).

Konkret:

Während wir auf der Werte-Ebene Go spielen, sind wir auf der strategischen Ebene damit beschäftigt Schach zu spielen. Auf der taktischen Ebene spielen wir dann gleichzeitig Poker. Es bleibt Abstrakt und Parallel.

* Lambertz over and out *


12 responses to “Strategie neu definiert”

  1. Some thoughts:

    Warum das Ganze? Warum Vision, warum Strategie, warum Taktik? Warum irgendetwas jenseits des unmittelbaren Tuns? Und sogar: Warum irgendetwas tun?

    Mir scheint, das Vision, Strategie usw. allzu leicht zum Selbstzweck werden. Sie sind gesetzt. Macht man halt. Aber auch sie haben sich entwickelt. Sie entspringen einer Notwendigkeit. Sie sind nur Mittel.

    Ich denke “es” daher immer wieder mal von unten: Gesetzt ist eigentlich nur eines: ein Organismus im Hier und Jetzt. Der will eigentlich nur eines: sich selbst erhalten. Das tut er mit Nahrungsaufnahme. Dabei transformiert er Externes in Bausteine zum Erhalt seiner Struktur – und scheidet Unbrauchbares, Schädliches, Abfallprodukte aus. That’s it.

    Das könnte ewig so weitergehen – nur ist so ein Organismus (Fadenwurm, https://de.wikipedia.org/wiki/Fadenw%C3%BCrmer) auf Dauer doch zu starr. Die Umwelt wandelt sich und es treten Fehler bei der Erhaltung der Strukturen auf.

    Deshalb kommt es zur Fortpflanzung. So erhält sich ein Organismus quasi als stehende Welle über längere Zeit. Bis, ja, bis die Grundstruktur, die sich fortpflanzt und dabei verändert, auch wieder zu starr ist. Dann stirbt eine Rasse, Art usw. aus.

    Wo ist da Taktik? Wo Strategie? Wo Vision?

    Wann und warum werden die hilfreich?

    Sie alle stellen ja Pläne dar. Ein Fadenwurm hingegen hat keinen Plan. (Jedenfalls nicht, dass wir das erkennen könnten.) Und doch lebt er sehr erfolgreich.

    Pläne erzeugen aus dem Stand ein Spannungsfeld. Es entsteht eine Erwartung über die Entwicklung der Realität – doch die kann anders verlaufen. Ein Kontrast entsteht, Enttäuschung, Leiden. Warum diesen Preis bezahlen? Das muss ja evolutionären Vorteil bringen. Es geht also immer ums Überleben.

    Inwiefern trägt eine Vision oder eine Ethik zum Überleben bei? In welcher Umwelt ist die nützlich?
    Dito Strategie usw.

    Der Fadenwurm hat für sein “operatives Geschäft” passende Wahrnehmungsorgane.

    Was für Wahrnehmungsorgane sind für Taktik, Strategie, Ethik nötig? Denn sobald Pläne ins Spiel kommen, muss man ja überprüfen können, ob sie auch aufgehen.

    Was (oder wer) wird für Taktik, Strategie, Ethik beobachtet?

    Eine Organisation ist kein Selbstzweck. Sie wir gegründet zu einem Zweck. Alles muss diesem Zweck untergeordnet sein, ihm dienen. Es gilt: Ist das zweckgerichtet oder kann das weg? Taktik, Strategie, Ethik sind dem Zweck gegenüber rechtfertigungspflichtig.

    • Ha! Das sind alles berechtigte Fragen – man könnte meinen das die benannten Ebenen sich als “Das macht man halt so” verselbstständigt hätten.

      Bei Deinem Fadenwurm-Vergleich sollte man die Begriffe Werte, Strategien und Taktiken bitte nicht aus dem herkömmlichen Business-Slang heraus beschreiben.

      In kurz, da in Eile: Bei Tieren läuft vieles implizit, da genetisch codiert ab – sie können nicht anders. Aber es ist möglich das Verhalten des Wurms mit den drei Ebenen zu beschreiben und damit die Organisation (darum geht es mir, das ist mein Mesosystem) besser verstehen zu können.

      Vielleicht kann man im Kontext psychischer Systeme auch von zeitlichen Bewusstseinsebenen sprechen: Langfristig, Mittelfristig, Kurzfristig, Echtzeit

      Wie einst gesagt, ich habe da ja noch ein Kinderbuch-Projekt auf dem Schirm und darin werden Ameisen eine zentrale Rolle spielen – die eignen sich fürs Narrativ fast schon zu perfekt 😉

      Cheers!

      • Doch, genau das meine ich: Werte, Strategie usw. sollten abgebildet werden auf harte Realitäten in der Biologie. Wenn wir über Überleben reden, dann müssen sie genau dafür zweckvoll sein.

        Und nicht nur bei Tieren “läuft vieles implizit, da genetisch codiert ab”. Das ist ja der Trick bei Organisationen: dass es ihnen genauso geht. Nur suchen wir dort nach der Doppelhelix vergeblich. Ist halt eine andere Lebensform. Doch die hat eben auch ihre “eingeschriebenen Gesetze”, ihre Muster. “Das haben wir immer schon so gemacht” ist doch genau dafür ein Beleg.

        • Ich glaube wir reden aneinander vorbei und meinen das gleiche. Sobald die Zeit es erlaubt, werde ich das aufschreiben. Oder bis zur Denkwoche noch drauf rumdenken.

  2. Ich denke es braucht eine Unterscheidung zwischen einem biologischen System und einer Organisation. Ein biologisches System beschäftigt sich nur mit dem Überleben. Ein biologisches System denkt nicht über den Sinn oder Zweck nach. Das machen nur psychische Systeme oder eben auch Organisationen. Sicher hat auch ein Fadenwurm eine Überlebensstrategie, über die muss er aber nicht nachdenken. Eine Organisation muss das das zwangsläufig tun, da diese ja aus Menschen besteht, welch ebenfalls darüber nachdanken, ob das alles Sinn macht. Der Zweck einer Strategie in einer Organisation könnte dann sein, den Zweck der Organisation (Sinn) und das was für die Mitglieder der Organisation Sinn macht in Resonanz zu bringen.

    • Zustimmung: Die Unterscheidung Leben/Überleben als “Treiber” des Sinns ist wichtig.

    • @Peter: Ich glaube, dass genau das ein Missverständnis ist: biologische Systeme denken natürlich über Sinn und Zweck nach. Oder tust du das nicht? Du bist ein biologisches System.

      Das Problem ist, dass wir bei Unternehmen die Teile sind. Was das Unternehmen, das soziale System denkt, wissen wir nicht mal. Wir können es nur irgendwie von außen sehen anhand seines Verhaltens. Und wir können innen einzelne Kommunikationen von Teilen beobachten. Doch “das Ganze” kann sich uns nicht erschließen.

      Ich behaupte aber mal: Wenn wir Unternehmen etwas Organismushaftes andichten, dann richtig. Dann sind Unternehmen zu dem fähig, was Fadenwürmer, Katzen oder Menschen können – und müssen, damit sie überleben.

      Dennoch haben Unternehmen natürlich etwas Eigenes: Soweit wir erkennen können, sind die Teile von Fadenwürmern (Zellen) und Ameisenstaaten (Ameisen) nicht bewusstseinsbehaftet. Bei Unternehmen ist das anders. Das Unternehmen hat ein Bewusstsein und die Teile ebenfalls. Daraus (!) ergibt sich sofort ein Spannungsverhältnis. Und genau das spiegelt sich Unternehmen heute vielfältig. Es stoßen zwei Bewusstseins aufeinander, die durchaus sehr unterschiedliche Absichten verfolgen.

  3. Interessant, wie hier biologische Systeme (Organismen) mit psychischen und sogar (ansatzweise sozialen) ökonomischen Systemen verflochten werden.

    Bin gespannt ob noch mechanistisches (kommt ja schon ein wenig mit dem Auto-Bsp.) oder sonstwie (Quanten-)Physikalisches, systemisches und schließlich dichotomes/digitalisiertes Denken für Metaphern verschwurbelt werden.

    Da ist noch einiges drin!

    • Sorry, ich kann nicht ganz folgen. War das jetzt eine Anmerkung oder eine Kritik?

      Soviel sei gesagt: Ich unterscheide schon zwischen psychischen, sozialen und biologischen Systemen.

      Außerdem würde ich gerne wissen, welche Beschreibung von Strategie den passender wäre.

  4. War keine Kritik gg. den Post – vielmehr gegen die darunter stehenden “Thoughts” – und sorry, hab erst zu spät gesehen, dass der Artikel auch schon älter ist und… letzte Abgrenzung, wollte auch nicht trollen.

    Ich bin mir sicher, dass “das” Eklektische auch ein Thema der Kybernetik ist, da sie ja noch ihren Platz sucht. Es ist nur manchmal hanebüchen, was dabei passiert: Strategie ist in jedem Fall als “reflexives” Moment einzuordnen, Du hast es recht gut versucht, mit dem Auto-Fahren begreifbar zu machen – nur eben aus einer eher prozessorientierten Logik. Diese wird, u. A. aus ökonomischen Gründen immer wieder als “State-Of-The-Art” dargestellt und ich vermute, dass darin auch der Grund liegt, weshalb Du für “Strategie” eine Lanze brechen magst.

    Jedenfalls zur gemeinten Kritik: Biolog(ist)isch (Fadenwurm) zu argumentieren ist ungefähr so sinnvoll, wie dies auf die Physik (Schwerkraft, etc.) oder Materie zu beziehen.

    • Ahso! Jetzt habe ich es verstanden.

      Bzgl. der Prozesslogik: Ich wollte nicht herum-taylorn! 😉

      Gerade diese fiese Parallelität von Norm, Strategie und Taktik sollte zeigen, dass das nicht “sauber” trennbar ist, weil’s IMHO aufeinander stetig einwirkt.

      Norm, Strategie und Taktik sind daher nur Konstrukte, um die Wirklichkeit auf verschiedenen Zeitebenen erfassen/beschreiben zu können. Dem Fadenwurm ist das vermutlich egal.

  5. In allerletzter Konsequenz bedeutet Überleben die physische Erhaltung eines Systems, bzw. Organismus. Im systemischen Kontext muss diese Definition erweitert werden. Überleben bedeutet hier die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts. Um ein Beispiel zu nennen, die Menschen arbeiten, um den aktuellen Wohlstand zu erhalten. Für das reine Überleben ist weit weniger notwendig.

    Werte oder Strategien finden wir in allen Systemen. Die Aufzucht von Jungtieren kann Beispielsweise als Wert betrachtet werden. Das VSM ist rekursiv. Das einzelne Tier hat nichts von der Fürsorge. Für ein übergeordnete System „Art“ oder „Biotop“ ist dies jedoch lebensnotwendig.

    Bei Strategien verhält es sich ähnlich, so sammelt die Maus Vorräte für den Winter oder der Baum verliert seine Blätter. Auch spielt wieder die Rekursivität des VSM eine Rolle, auch im übergeordneten System haben diese Dinge eine Bedeutung. So hat das Gesamtsystem Biotop eben auch eine Strategie für den Winter, die sich aus den Einzelstrategien zusammensetzt.

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