Eine kleine Moritat


Non bene pro toto libertas venditur auro

Das Jahr ist fast geschafft, genug prominente Menschen haben dem demographischen Wandel ihren Dienst erwiesen, sodass ich dachte das es an der Zeit wäre mein Lieblingskapitel freizugeben. Den geneigten Lesern möchte ich in diesem Zusammenhang nicht vorenthalten, dass ich zu Ragusa eine besondere Beziehung hege: In diesem Städtchen vollzog ich die “echte” Ehelichung meiner geliebten Frau – also eine große Party mit Menschen aus drei Kontinenten und einem geheimnisvollen Wedding-Water, dessen Bedeutung die Geweihten zu interpretieren wissen 😉

Kurz und gut, hier das 32. Kapitel meines Büchleins, oder wie der Rheinländer zu sagen pflegt: Man muss auch jönne könne.

Die Republik Ragusa

Dieses Kapitel handelt von der bemerkenswerten Geschichte einer kleinen Republik, der es trotz ihrer vergleichsweise geringen Größe mit ca. 50.000 Einwohnern gelang, knapp 450 Jahre lang zu existieren (zum Vergleich: Das Römische Reich existierte ca. 1.200 Jahre und hatte in der Hochzeit eine Bevölkerung von ca. 58 Millionen). Diese Geschichte ist ein exzellentes Beispiel für erfolgreiches Varietätsmanagement im Sinne des Ethos, für den das System 5 verantwortlich ist: Die Rede ist von der Republik Ragusa, heutzutage besser bekannt als Dubrovnik. Stets war Ragusa von mächtigen Imperien umgeben – die Ottomanen, das venezianische Reich, K.-u.-k.-Monarchie Österreich, das napoleonische Frankreich oder Russland. Dennoch hatten es die Stadtoberen sehr lange geschickt verstanden, sich innerhalb dieser komplexen Umgebung zu etablieren und dabei ganz erstaunliche Leistungen zu vollbringen:

  • Öffentliche medizinische Dienste wurden ab 1301 eingeführt.
  • Die erste Apotheke wurde im Jahr 1317 eröffnet und existiert bis heute an
    gleicher Stelle.
  • Das erste öffentliche Krankenhaus wurde 1377 eröffnet.
  • Ein Altenheim wurde 1347 gegründet.
  • Der Sklavenhandel wurde 1418 verboten.
  • Ein Waisenhaus wurde 1432 gebaut.
  • Das öffentliche Wasserversorgungssystem wurde 1436 konstruiert (das Wasser wurde über eine Distanz von 20 km zur Stadt gebracht)

Wie gelang es den „Managern“ von Ragusa als derart kleines System, die o. g. Innovationen einzuführen und durchgehend zu finanzieren? Was war das Geheimnis der Lebensfähigkeit dieser Republik? Nach welchen Grundsätzen handelten sie?
Zunächst einmal ist es interessant, wie sich die Adelsleute – denn um die geht es, wie überall zu dieser Zeit – untereinander organisiert haben. Die ungefähr 30 adligen Familien wählten einen Rektor, der im Rektor Palast für die Zeit seiner Regentschaft residierte. Diese Regentschaft währte allerdings lediglich einen Monat und eine Wiederwahl der entsprechenden Person war erst nach zwei Jahren wieder möglich. Aufgrund dieser organisatorischen Form, die im Wesentlichen eine Verteilung und Befristung von Macht bedeutete, entstand in diesem System ein ungeheurer Bedarf nach Kooperation und Interessenausgleich.

Wie im Kapitel über das System 5 dargestellt, wäre es nun interessant zu wissen, welche Leitbilder sich Ragusa gegeben hat, um über diesen langen Zeitraum existieren zu können. Es mussten Leitideen sein, die auf der einen Seite eine gigantische Menge an Varietät absorbieren konnten, und es durften nicht zu viele Ideen sein, damit diese für mehrere Jahrhunderte funktionieren konnten.

Es genügten zwei Wahlsprüche, um das Ethos der Republik zu begründen:

Non bene pro toto libertas venditur auro
Die Freiheit wird nicht verkauft, auch nicht für alles Gold (auf der Welt).

Und …
Obliti privatorum – publica curate
Vergesst die privaten Angelegenheiten – kümmert euch um die öffentlichen.

Darüber hinaus spielten weitere Aspekte eine Rolle, dass dieses kleine System lange bestehen konnte:

  • Ragusa verfügte über ein weitverzweigtes Informationsnetzwerk von diplomatischen Kontakten, welches in der Spitze Vertreter in 80 Städten aufwies. Dies befähigte Ragusa politische Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und entsprechend eigene strategische Pläne vorzubereiten. Dieses „Informationssystem“ hatte den weiteren Vorteil, dass Ragusa im Bereich der Forschung und kulturellen Entwicklungen stets auf dem Laufenden war. Interessanterweise war Ragusa unter den ersten Staaten, welche die Unabhängigkeit der USA anerkannten.
  • Als kleiner Staat waren die Anführer klug genug, auf den Aufbau einer Armee zu verzichten und sich stattdessen voll und ganz auf die Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft zu konzentrieren. Bis heute ist diese strategische Entscheidung an der imposanten Stadtmauer zu erkennen, welche die Altstadt von Dubrovnik umgibt.
  • Der Aufbau einer Handelsflotte hatte höchste Priorität, sodass Ragusa zwischen 180 und 200 Schiffe sein eigen nennen konnte. Die Händler segelten in nördlicher Richtung bis nach England und trieben in südlicher Richtung Handel in den Häfen von Nordafrika. Die Kapitäne der Republik genossen einen exzellenten Ruf.
  • Neben den seglerischen Fähigkeiten waren die ragusischen Schiffsbauer berühmt für ihre zuverlässigen Schiffe. Die Schiffsbauer wurden regelmäßig von anderen Staaten abgeworben, insbesondere von Venedig.
  • Wie jeder Immobilienmakler zu berichten weiß, gibt es nur drei Aspekte, die wichtig bei der Bewertung eines Grundstücks sind: Lage, Lage und Lage. Die Republik hatte das Glück, ziemlich genau in der Mitte der damaligen Handelsrouten im Mittelmeer zu liegen und darüber hinaus noch wertvolle Erzvorkommen in der Nähe zu besitzen. Dies hat die Entwicklung von Ragusa zusätzlich beschleunigt.

Der Niedergang Ragusas lässt sich an zwei wichtigen Ereignissen festmachen.
Zum einen gab es 1667 ein sehr starkes Erdbeben, welches beinahe ALLE Gebäude der Stadt zerstörte – bis auf die Stadtmauern, die komplett erhalten blieben. Viele Mitglieder der adligen Familien kamen ums Leben, sodass es notwendig war, „normale“ Bürger wie z. B. Händler oder Handwerker in den Rat zu berufen. Diese neuen Ratsmitglieder hatten aber nicht die Prozesse der Entscheidungsfindung gelernt, sodass sich schließlich Eigennutz und Egoismus einschlichen. Die inneren Kohäsionskräfte wurden schwächer, sodass sich Ragusa nie wieder vollständig von dieser Katastrophe erholen sollte. Hinzu kam, dass sich um diese Zeit die Handelsrouten Richtung Atlantik verlagerten und die großen Profite nun in der neuen Welt zu erzielen waren.

Der eigentliche Nagel auf den Sarg waren dann die politischen Wirren in der Vorrestaurationszeit zwischen 1800 und 1807. Die Republik geriet zwischen die Streitkräfte Frankreichs und Russlands. Es heißt, dass während der Belagerung Ragusas im Jahre 1806 insgesamt 3.000 Kanonenschüsse von russischen und montenegrinischen Truppen auf die Stadt gefeuert wurden, um die darin verschanzten französischen Kräfte zu besiegen. Die Franzosen verteidigten Ragusa erfolgreich, jedoch beendete die Belagerung die Unabhängigkeit des Stadtstaats, da durch den Frieden von Tilsit im Jahre 1807 Ragusa aufgelöst und das Territorium zunächst dem napoleonischen Königreich von Italien zugeteilt wurde. Im weiteren Verlauf der Geschichte, also kriegerischen Handlungen, übernahmen die Österreicher die Stadt in dem sie ihr wohlgesinnte kroatische Rebellen finanzierte.

Der Große Rat traf sich am 18. Januar 1814 zum letzten Mal, um ein endgültiges Scheitern der Republik zu verhindern. Sie wählten einen Stellvertreter, der die Interessen von Ragusa beim Wiener Kongress wahrnehmen sollte. Doch die Österreicher widersprachen vehement und verhinderten ein Wiederaufleben der Republik. Ragusa existierte fortan nicht mehr. Es hatte einer Umweltkatastrophe eines seinerzeit unvorstellbaren Ausmaßes bedurft, um im System Ragusa den Prozess der Selbstauflösung in Gang zu setzen, welchen dann die Interessen europäischer Großmächte schlussendlich beschleunigten.
Es bleibt die Erinnerung an eine Gemeinschaft, der es aufgrund einiger intelligenter Entscheidungen und etwas Glück gelang, innovative Ergebnisse zu erzielen und die Vorteile einer Verteilung von Macht über einen langen Zeitraum geschickt auszuspielen.
Eine weitere Lehre lässt sich aus der Geschichte von Ragusa ziehen:
Bei aller Weisheit und Verteilung der Macht hatten die Eliten ein Unglück wie das große Erdbeben nicht eingeplant – und es damit versäumt eine mündige Bürgerschaft zu entwickeln, die im Falle einer solchen Katastrophe den Codex hätten fortführen können.

Diese Einsicht mag als Warnung dienen, wenn Themen wie Europa und die demokratische Wertegemeinschaft heutzutage in Frage gestellt werden.


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