Interview mit Mari Furukawa-Caspary


Über Sprache, Dinge-Macher und universelle Prinzipien 

Dieser Blogpost ist eine Premiere, da ich zum ersten Mal selber ein Interview geführt habe, bei dem ich auf der Seite des Fragestellers stehe. Glücklicherweise konnte ich Mari Furukawa-Caspary dafür gewinnen, mir einige Fragen in ausführlicher Form zu beantworten. Dieses “Gespräch” fand via Google Doc statt, sodass jeder genug Zeit hatte über Fragen und Antworten nachzudenken. 


 

Ich freue mich sehr, dass Du dem Interview zugestimmt hast und uns zum Thema “Lean” Deine Sichtweise mitteilen wirst. Gleich zu Beginn habe ich viele Fragen! 

Magst Du etwas über Dich erzählen? Wo kommst Du beruflich her? Was treibt Dich an? Außerdem würde ich gerne verstehen, warum Du in Twitter den Account Lean-auf-gut-Deutsch (@GutLean) betreibst? Wie ist es zu diesem Account gekommen? 

Mari: Vielleicht muss ich doch ein wenig ausholen. Ich bin zweisprachig aufgewachsen und war in den ersten 19 Jahren meines Lebens, bis zum deutschen Abi, in vier Ländern auf sechs Schulen. Die Unterrichtssprache wechselte alle paar Jahre zwischen Deutsch und Japanisch. Nach meinem Geschichtsstudium in Mainz habe ich ziemlich lange in Frankfurt in der Wertpapierabteilung einer japanischen Bank gearbeitet, bis sie 2006 nach London gezogen ist. Seitdem arbeite ich freiberuflich als geprüfte Dolmetscherin und Übersetzerin für Wirtschaftsjapanisch und -deutsch mit eigenem Übersetzungsbüro.

Zum Thema “Lean” bin ich gekommen, als ich, nachdem ich in meiner Familienphase mehrere Erziehungsratgeber aus dem Deutschen ins Japanische übersetzt hatte, irgendwann angefangen habe, ein Toyota-Einführungsbuch zu übersetzen. Schon mein Vorgesetzter in der Wertpapierabteilung hatte mir die Übersetzung von Peter Drucker in die Hand gedrückt, dass ich das Buch unbedingt lesen müsse. Deshalb war das Thema für mich interessant, aber alle deutschen Verlage haben erst einmal abgewunken, weil sie keine Marktchancen sahen. Aber auf der Suche nach einem Verlag habe ich jemanden kennengelernt, der für japanische Lean-Experten in Deutschland gedolmetscht hat. Der hat mich ins Team geholt. Das war 2002 oder 2003, glaube ich. So genau weiß ich es nicht mehr, damals hatte ich auch sehr viele andere Aufträge.  

So ist es dazu gekommen, dass ich seit über 15 Jahren regelmäßig, zuerst für drei, in den letzten zehn Jahren für einen japanischen Lean-Experten dolmetsche, der in deutschen Unternehmen sehr erfolgreich “Lean” einführt. 

Ich habe ziemlich früh gemerkt, dass es vor allem am Shopfloor wenig Sinn macht, die Worte des japanischen Experten wortwörtlich zu übersetzen, weil das, was der Sprecher voraussetzt, beim Empfänger gar nicht vorhanden ist, und vice versa. Vor allem wenn es darum geht, Menschen handlungsfähig zu machen, darf man sich nicht an die Worte klammern oder sich gar gestelzt und vornehm ausdrücken, sondern muss versuchen, an die bereits vorhandenen Bilder in den Köpfen anzudocken. Also habe ich in Rücksprache mit dem japanischen Sensei immer nach Sprachbildern gesucht, um zu vermitteln, was gemeint ist. 

Irgendwann habe ich gemerkt, dass die deutsche Sprache sehr viele eigene umgangssprachliche Wendungen hat, die das, was Lean ausmacht, ausdrücken. 

Gleichzeitig begegne ich in den letzten Jahren immer mehr deutschen Lean-Experten, die ihr gesamtes Wissen über die amerikanische Literatur bezogen haben, und mir ist aufgefallen, dass dieser angelsächsische Sprachfilter die einfachsten Gedanken völlig verfälscht oder unverständlich macht. Und dass in Deutschland immer stärker ein “Lean-Expertentum” grassiert, das diese verfälschten Gedankengebilde immer weiter bis zur Unkenntlichkeit “weiterentwickelt” – so dass es in manchen Fällen wieder zum reinsten Taylorismus mutiert. Diese Entwicklung fand ich ziemlich beängstigend.

Ich war ja schon vorher auf Xing in der Gruppe “Lean for Professionals” unterwegs, und wusste, dass viele, die in ihrem Unternehmen mit “Lean” zu tun haben, sehr froh darüber sind “Lean” auf gut Deutsch erklärt zu bekommen. Ich habe dann 2015 das Buch “Lean auf gut Deutsch” geschrieben und hatte viel positive Resonanz.

Da war es irgendwann ein naheliegender Schritt, einen Twitter-Account einzurichten, vor allem wenn man viel unterwegs ist. Ich bin ja mittlerweile mehr als 100 Tage im Jahr auf Achse. 

Und so kommt es, dass ich auf Twitter bin. Und ich freue mich, auf Twitter Menschen kennenzulernen, die auch ganz viele spannende Gedanken haben. So wie Dich, zum Beispiel. Aber auch viele andere, die mir so viele Impulse geben, einfach weiterzudenken. 

In der Sprache des Viable System Model nehme ich Dich als “Tranducer” wahr. Das heisst Du bist mehr als nur eine Übersetzerin, die einfach nur Worte, sondern auch die tieferliegende Bedeutung überführt. Hättest Du ein paar typische Beispiele, welche Originalbegriffe nicht richtig übersetzt worden sind? Welche Missverständnisse ergeben sich daraus?

Mari: Mir ist das selber zum ersten Mal aufgefallen, als ich viele von “Verschwendung eliminieren” sprechen gehört habe. Das ist eine direkte Übersetzung des englischen “to eliminate waste” – aber ich wusste ja, dass der japanische Wortlaut “Muda o nakusu” heißt. Das habe ich auch in meinem Buch ziemlich ausführlich beschrieben. Muda ist ein sehr umgangssprachlicher Begriff und man setzt das Wort immer dann ein, wenn etwas “sinnlos” oder “Unsinn” ist. Mit der Übersetzung “waste” kann ich leben, weil man von Müll spricht, dann ist das wertlos für den, der ihn erzeugt. 

Aber Verschwendung ist etwas anderes. Das Wort impliziert immer eine Abwertung des Ressourcen verschwendenden Akteurs. Und das hat mich gestört. 

Ich spekuliere jetzt einmal, aber ich denke, da hat einer Japanisch-Englisch gedolmetscht, über “waste” gesprochen – und dann haben die ersten, die das in Deutschland gehört haben (nämlich Schwaben :)), sofort an Verschwendung gedacht. Aus ihrer Sicht passte die “Philosophie”. Und schon war ein gewisser Bias da.

Es liefen Vorgesetzte herum und hielten Predigten, dass vor allem die “Arbeiter” nichts verschwenden dürfen. Und die meisten Leute haben gedacht, hui, jetzt will einer noch mehr an uns sparen. Und zu denken, “Ehe ausgerechnet der uns zehn Schritte verbieten will, soll er sich einen billigeren Dienstwagen nehmen”, war völlig legitim. In der ersten Welle wurden ja auch viele der “eingesparten Leute” entlassen, auch das war ja völlig falsch. Beim Muda geht es nicht ums Kosten-Sparen.

Auch habe ich gemerkt, dass viele Leute in einer Art Japan-Romantizismus darin irgendwie eine moralische Überlegenheit der japanischen Zen-Kultur hineininterpretiert haben. Und da gab es einige Kollegen – Dolmetscher, die zum Beispiel Japanische Literatur des 12. Jahrhunderts studiert haben – die haben natürlich in allem was mit Japan zu tun hat, eben diese Muster gesehen und das mit hineininterpretiert. Und in einer extrem vergeistigten Sprache gesprochen.

Und dann geh mal in eine Schweißerei und versuche den Leuten zu erklären, wie sie “Verschwendung eliminieren” sollen. “Kai zen mocht koi Sinn, haha”.

Wenn man aber den Leuten sagt: “Leute, es geht hier darum, dass man sich keinen unnötigen Aufwand macht, nix sollte für die Katz’ sein, wozu “schaffen” wir denn hier? Wir wollen doch hier alle ein gutes Auskommen haben, oder nicht?” – macht es “Klick”. 

Dann heißt es: “Ja klar, ist ja blöd, wenn der Drucker so weit hinten steht, und wir zehn Mal am Tag 50 Meter hinrennen.” Und dann ist man handlungsfähig.

Und mittlerweile sage ich zu Muda “unnötiger Aufwand”. Weil ich finde, dass das deutsche Wort “unnötiger Aufwand” genau das gleiche Wirtschaftsprinzip ausdrückt wie das Wort Muda bei Toyota. Unnötiger Aufwand ist etwas, was dich daran hindert, mit deiner Arbeit gut auszukommen. Im Deutschen kann man damit nicht nur die geldliche Seite, sondern auch die zeitliche, also auch die organisatorische Ungeschicklichkeit ausdrücken. Lass alles Unnötige sein, wenn du mit allem besser auskommen willst. Das ist “Handwerkersprech”. 

Da hat es bei mir “Klick” gemacht.

Wenn man einmal begriffen hat, dass es im TPS im Grunde um Wirtschaftsprinzipien geht, wie man davon ein gutes Auskommen erwirtschaften kann, wenn man “vom Können (von der Kunst), für andere Menschen Werte zu schaffen” lebt, dann merkt man, dass es nicht nur universell ist, sondern dass die deutsche Sprache einen unermesslichen Reichtum an Bildern zur Verfügung stellt.

Und dass es hier weder nur um die Industrie geht, noch um nur billig einkaufen und teuer verkaufen. Wenn man nicht von Arbitrage lebt sondern von “Werte generieren”, dann reicht die kaufmännische Weltsicht nicht aus.

Und dann habe ich irgendwann das Modell von Takahiro Fujimoto gesehen, der sagt, jedes Artefakt ist ein Informationsmedium. Wir Menschen erstellen zuerst so etwas wie eine Gussform oder Model (wie die Buttermodel) oder eine Druckplatte eines Holzschnitts. Und wenn darin alle Informationen richtig übersetzt worden sind, können wir diese in das Medium eintragen und darauf hoffen, dass das Produkt alle Informationen richtig enthält. 

Und dass es beim Monozukuri, den “Dinge-Machern” darauf ankommt, die Generierung und Eintragung dessen, was Fujimoto Produktdesigninformation nennt, in kürzestmöglicher Zeit so exakt wie nur möglich zu bewerkstelligen, wenn man im Wettbewerb die Nase vorn haben will. 

Er sagt: das Medium kennt nur zwei Zustände. Entweder wird gerade eine Information eingetragen, oder es wartet auf eine Information. Den letzteren Zustand meinen die bei Toyota, wenn sie von Muda sprechen. Wertschöpfung ist Erstellung und Eintragung von Information in eine Materie.

Monozukuri leben davon, die Gedanken des Kunden in eine Information zu übersetzen und diese in ein Medium zu gießen, das die Gedanken so genau wie möglich abbildet, und je weniger unnötigen Aufwand Du hast, hast Du ein besseres Auskommen. 

Sehr erhellend, Danke Dir für das Muda-Beispiel! Ich würde gerne noch beim Thema Sprache und Kultur bleiben und von Dir wissen, inwiefern gesellschaftliche Aspekte das Menschenbild des TPS prägen? Damit meine ich die Aussage “Respect for the People”. Gibt es aus der japanischen Kultur heraus eine besondere Einstellung zu diesem Aspekt? Oder hat das nichts miteinander zu tun und wäre ein Japan-Romantizismus?

Mari: Respect for People ist die Quintessenz, die man 2002 explizit in die TPS-Philosophie aufgenommen hat. Vorher gab es nur das TPS-Haus mit den beiden Säulen Just-in-Time und Jidoka, und die Unternehmensphilosophie des Gründers Sakichi Toyoda. 

Respect for People ist die universelle Moral derjenigen, deren Geschäft es ist, Produkte herzustellen, die man anderen Menschen gegen Entgelt anbietet. Sie leben von ihrem Können/Wissen/Handwerkskunst, die sie für den Kunden einsetzen. Nicht nur Handwerker, sondern im Grunde alle, die nicht nur von der Arbitrage/Spekulation leben oder L’art pour l’art betreiben. Diese Art von Geschäft ist eine sehr handfeste soziale Interaktion. Und wenn man auf diese Weise vom “Können” leben will, muss man den Menschen respektieren.

Ich sehe Toyota bzw. TPS eher als ein historisches Phänomen, das sich sehr gut einreihen lässt in die Entwicklung, die sich seit dem Barock in der Weltgeschichte vollzieht. Deshalb denke ich, dass das Ganze weitergehen und sich gegenüber dem Taylorismus, der auch nur ein historisches Phänomen ist, weiter durchsetzen wird.

Das ganze hat wenig mit Japan zu tun, denke ich. Zwar nennt man es seit einiger Zeit in Japan  “Monozukuri”, also “Dinge-Macher”, aber es ist das, was im deutschsprachigen Raum Tradition im Handwerk hat und den Grundstock für die bürgerliche Gesellschaft gebildet hat. Da ich während meines Geschichtsstudiums gelernt habe, dass die Wertesysteme der Menschen in einer engen Wechselbeziehung mit ihrem Beruf bzw. ihrem Gewerbe stehen, sage ich auch hier, der japanische Handwerker ist dem deutschen Handwerker näher als dem japanischen Kaufmann oder Adligen. Grundsätzlich denke ich, dass alle Menschen auf der Welt, die von ihrem Handwerk leben, eine ähnliche Einstellung haben, weil man auf bestimmte Verhaltensweisen Wert legen muss, wenn man damit erfolgreich sein will. 

Da ist zum Beispiel der Punkt, dass das Handwerk ist sehr ausbildungsintensiv ist. Wenn man erfolgreich sein will, muss man sein Handwerk verstehen und grundsätzlich seine Materie, also “Zeug”,  beherrschen wollen. Menschen, die nur gehorchen, d.h. sich alles vorsagen lassen müssen, können nie gute Handwerker werden. Als eigenen Nachwuchs muss man sich also einen bestimmten Menschenschlag heranziehen. Und das hat zur Folge, dass bestimmte Verhaltensweisen sehr breit von vielen als positiv wahrgenommen werden. Ein guter Handwerker muss nicht unbedingt ein guter Rhetoriker sein, zum Beispiel. Man ist vielleicht sogar ein bisschen misstrauisch gegenüber denen, die schöne Worte machen. Da werden andere Eigenschaften höher bewertet. Klassisch sind Ehrlichkeit oder eine gewisse Beharrlichkeit, aber auch eigenständiges Denken. In der Auseinandersetzung mit der schnöden Materie hilft kein Schönreden und keine Ungeduld. Auch muss man hart im Nehmen sein, weil die Dinge einem gnadenlos die Grenzen der eigenen Fähigkeit aufzeigen. Jemand, der stolz darauf ist, dass er etwas kann, der das eigene Tun hinterfragt aber auch selbstbewusst genug ist, um eigene Lösungswege auszuprobieren. Sakichi Toyoda, der aus einer Zimmermannsfamilie kam, wusste das genauso gut wie Robert Bosch oder Carl Zeiss oder Konosuke Matsushita. Und sie haben alle ihre Leute ähnlich behandelt. 

Und das hat viel mit Respect for People zu tun. Bei Toyota sagen sie zum Beispiel, wer sich nicht ernst genommen fühlt, nimmt sich selbst und die eigene Wahrnehmung nicht ernst, und das führt zur schlechten Qualität. Qualität hat mit Selbstachtung zu tun, und dies hat der Vorgesetzte zu unterstützen, nicht zu untergraben. Vor allem muss man in diesem Geschäft auch den Kunden, der auch ein Mensch ist, und dessen Bedürfnisse ernst nehmen können. Darin besteht ja der Ausgangspunkt Deines Geschäfts. 

Das ist ein krasses Gegenstück zum Welt- und Menschenbild der englischen Gentry, die ihre Bauern weg von ihren Schafsweiden in die Fabriken geschickt haben, damit sie ihnen ihre modernen Maschinen bedienen. Oder der Feudalherren aller Gesellschaften aller Zeiten, die es gewohnt waren, ihre Untertanen und Dienstboten/ihr Gesinde als Teil ihres Vermögens anzusehen, was ja auch rechtlich stimmte. Der Bauer gehörte zum Inventar und hatte zu gehorchen. In diesen Geschäften ging es weniger um den Kunden, sondern darum, günstige Gelegenheiten wahrzunehmen, um das eigene Vermögen und den Machteinfluss zu mehren. In Momenten, wo das Angebot knapper war als die Nachfrage, gab es einen guten Gewinn. Und die Grundlage des Zusammenhalts war die Macht, die immer auch ein wenig mit der Angst des Schwächeren vor dem Stärkeren zu tun hatte. 

Dem setzt das Handwerk das Konzept der freien Stadtluft und der stolzen Zunft mit einem eigenen Ausbildungssystem entgegen. Man lebt “von der eigenen Hände Arbeit”, vom Können. Die Marge ist nie übermäßig, aber solide. Wenn man gut im Handwerk sein will, dann muss man sich innerlich von der adligen Obrigkeit abgrenzen, einen eigenen Kopf haben und eine Selbstachtung, die viel damit zu tun hat, dass man weiß was man kann. 

Die tayloristische Organisation trägt aus meiner Sicht noch viele Elemente aus dem Feudalismus in sich. Wahrscheinlich, weil die ersten, die Fabriken errichteten und viele Menschen auf einem Fleck arbeiten ließen, dieselben waren, die sich mit dem Aufbau von Ministerien und Militär auskannten. Die Fabriken sind im Grunde genauso aufgebaut wie Landgüter. Es gibt den Besitzer, den Verwalter, und diejenigen, die vom Verwalter vorgesagt bekommen, was sie zu tun haben. 

Solange die Produkte einfach waren und die Nachfrage nach Gütern groß, ging es damit einigermaßen gut. Die Menge der zu generierenden und aufeinander abzustimmenden Produktdesigninformationen war ja anfangs noch überschaubar. Wenn man auf Angebot und Nachfrage achtete, reichte es. Und Unstimmigkeiten ließen sich auch hinterher einigermaßen regulieren, durch Nacharbeit.  

Aber von 1989 stammt der berühmte Spruch von Konosuke Matsushita, den Du vielleicht schon kennst.  

“We will win and you will lose. You cannot do anything about it, because your failure is an internal disease. Your companies are based on Taylor’s principles. Worse, your heads are Taylorized, too. You firmly believe that sound management means executives on one side and workers on the other, on one side men who think, and on the other side men who can only work.  For you, management is the art of smoothly transferring the executives’ ideas to the workers’ hands.

We have passed the Taylor stage. We are aware that business has become terribly complex. Survival is uncertain. Therefore, a company must have the constant commitment of the minds of all of its employees to survive. For us, management is the entire workforce’s intellectual commitment at the service of the company.“We know that the intelligence of a few technocrats—even very bright ones—has become totally inadequate to face these challenges. Only the intellects of all employees can permit a company to live with the ups and downs and the requirements of its new environment. Yes, we will win and you will lose. For you are not able to rid your minds of the obsolete Taylorisms that we never had.”

Hört sich arrogant an, aber es zeigt sich ja, dass es tatsächlich in diese Richtung geht. Damals scheint er sich ziemlich darüber geärgert zu haben, weil er das Gefühl hatte, mit seiner Denkweise von den Amerikanern nicht ernst genommen zu werden und hat provoziert. 

Bitte erlaube mir kurz anzumerken: Krass – das Zitat von Konosuke Matsushita kannte ich nicht. Ebenso scheint es, als gäbe es ein universales Muster der “verantwortungsvollen Führung von Organisationen”. In der Zeit der Industrialisierung könnte man vom wohlmeinenden Patriarchen sprechen. Damit hast Du mir eine Steilvorlage für den nächsten Fragekomplex vorgelegt. Heutzutage scheint es einen starken Wunsch zu geben, weg vom “Ich” und hin zum “Wir” zu gelangen. Wenn ich Deinen Ausführungen folge, ist das – etwas spitz formuliert – nichts neues. Peter Drucker hat entsprechendes in den 50er und 60er Jahren gesagt. Gleiches gilt auch für den Begriff des Purpose, im Sinne eines höheren Zweckes und einer Gemeinwohl-Orientierung. Wie siehst Du diese aktuellen Themen?

Mari: Es ist eher eine dialektische Entwicklung, denke ich. Erst gab es die Handwerker und die Zünfte, die ihr Wissen wie eine Geheimwissenschaft gehortet haben, aber auch durch die Walz versucht haben sich recht international weiterzuentwickeln. Die haben ja schon im Mittelalter Länder- und Herrschaftsgrenzen überschritten um an Informationen zu kommen. Aber es war alles eher Erfahrungswissen und existierte völlig unabhängig vom akademischen Betrieb. Und es blieb alles innerhalb einer engen, geschlossenen Gesellschaft.  

Als dann im 18.Jahrhundert die Naturwissenschaften einen gewaltigen Sprung nach vorne machen, wird es nach und nach möglich, Dinge anders, d.h. in kürzerer Zeit Massen zu produzieren, mit Maschinen, die nach den allgemeinen Gesetzen der Logik, also Physik und anderen objektiven Naturwissenschaften funktionieren, wodurch das alte Handwerk zuerst einmal ökonomisch in den Hintergrund gedrängt wurde. Und die akademische Wissenschaft hatte international anerkannte systematische Regeln, wie Menschen da weiterdenken konnten, wo andere vorher aufgehört hatten. In Form von wissenschaftlichen Veröffentlichungen konnte man kollektiv und strukturiert die Grenzen der Erkenntnis immer weiter hinausschieben. Das war neu. Und natürlich war die industrielle Fertigung einfacher Dinge, wie Blechgeschirr oder Baumwollzwirn, für alle Menschen erst einmal ein Riesenfortschritt in der Lebensqualität. Es gab einen schier unendlichen materiellen Nachholbedarf.

Wenn das Handwerk die These war, dann war die industrielle Revolution die Antithese, und nun sind wir dabei, die Synthese zu entwickeln. Gemeinsames Thema über alle Zeiten lautet: Wie kann man von Erschaffen nützlicher Gegenstände gut leben? Kann man das überhaupt? Die Antwort von Lean lautet, ja, denn gut gemachte Dinge braucht der Mensch immer.

In Japan hat sich der Begriff Lean für das TPS nicht durchgesetzt, weil er nur einen Teilaspekt hervorhebt. Seit etwa 2000 lautet der Überbegriff Monozukuri. Monozukuri bedeutet Dinge machen oder Dinge-Macher. Es ist ein Kunstwort, das sich von dem Begriff der “Produktion” bewusst abgrenzt, weil man diesem Prinzip auf den Grund gehen will. Es ist im Grunde ein Gegenentwurf zur kaufmännisch geprägten BWL, die den Wert der handwerklichen Geschicklichkeit (zum Beispiel die Qualität und Geschwindigkeit der Informationsgenerierung und Übertragung) nirgendwo abbilden kann. 

Wenn man den Lean-Gedanken auf die Industrielle Revolution anwendet, dann kann man sagen: Die Industrie des 19.Jahrhunderts war dem Handwerk deshalb überlegen, weil die Entwicklung der Dampfmaschine die Durchlaufzeit sprunghaft verkürzte, bis ein Produkt den Kunden erreicht. Auch die Reproduzierbarkeit von Qualität hat sich dadurch erhöht. Außerdem verfügten diejenigen, die die Fabriken bauten, andere logistische Möglichkeiten bei der Beschaffung. Und vor allem bot die Wissenschaft die Möglichkeit, Wissen nach festen, transparenten Regeln für eine unbestimmte Anzahl von Menschen zugänglich und weiter entwickelbar zu machen.  

Denken wir noch einmal an Fujimoto. Damit ein Produkt entsteht, müssen erst Produktdesigninformationen gezielt und passgenau generiert werden und dann präzise in ein Medium eingetragen werden. Je weniger Zeit man dafür benötigt, desto wirtschaftlicher ist es für den Produzenten, weil a) sich dadurch die Zeit, in der er “vorstrecken” muss, verkürzt wird, und b) er in der selben Lebenszeit mehr Kunden bedienen kann. Man kann vom Cash-Inflow immer besser leben. 

Die Dampfmaschine hat den körperlichen Prozess beschleunigt. Eine Maschine ersetzte die Kraft von mehreren Menschen. Aber den unnötigen Aufwand hatte man lange nicht so sehr im Fokus, höchstens kaufmännisch. Man versuchte an den Inputfaktoren wie Lohn oder Material zu sparen oder durch Rabatte den Umsatz zu anzukurbeln. Weil aber etwas Ungeschicktes nicht dadurch geschickter wird, wenn man das Ganze mit noch weniger Menschen oder anspruchsloseren Menschen oder billigeren Materialien macht, geht diese Rechnung oft nicht auf. Als die Produkte anspruchsvoller wurden, fiel trotz des wachsenden Umsatzes in vielen Unternehmen die Rendite. Monozukuri hingegen achtet auf das, was hinter dem Geld und den Dingen steht und diese generiert und bewegt, nämlich die Produktdesigninformationen.

Es zeigt sich in den letzten Jahren immer mehr, dass die alte Gutsherrenorganisation Nachteile hat, weil sie nur einen Bruchteil der Fähigkeiten einer Organisation nutzt, um alle wettbewerbsrelevanten Produktdesigninformationen zu generieren. Menschen vorzusagen, was sie zu tun haben um dann hinterher zu kontrollieren, ist z.B. ein unnötiger Zwischenschritt. Man braucht sich das nur vorzustellen, wie es beim Fußballspielen oder Musikmachen aussähe. So entsteht keine Qualität.

Wenn man nun diese Gutsherrenbrille (einer sagt allen vor, was sie zu tun haben – “wir brauchen schließlich auch Leute, die die einfachen Arbeiten machen”) absetzt, und sich ganz neutral überlegt, wie man sich die Arbeit organisieren kann, damit alle, die “im Laden arbeiten” ihr gutes Auskommen haben können (Hier würde ich gerne Robert Bosch zitieren: “Jede Arbeit ist wichtig, auch die kleinste. Es soll sich keiner einbilden, seine Arbeit sei über die seines Mitarbeiters erhaben. Jeder soll mitwirken zum Wohle des Ganzen.”), dann muss man innerhalb der Organisationsstruktur ganz andere Prioritäten setzen. 

Je stärker man auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen möchte, umso mehr unterschiedliche Informationen müssen berücksichtigt werden, damit sie Gestalt annehmen.

Um immer mehr Einzelwünsche des Kunden in kurzer Zeit erfüllen zu können, muss man einfach darin “geschickter” werden, wie man das Gesamtwissen zügig zusammenbringt. Dafür braucht man eine andere Struktur.

Lean ist kein System um Geld zu sparen, sondern ein Wissensanreicherungssystem, das die Leistungsfähigkeit (oder Geschicklichkeit) einer Organisation permanent erhöht. 

Toyota hat das mit seiner Entwicklungsabteilung in den 1990er Jahren vorgemacht. Sie haben extrem schnell entwickelt, und zwar so, dass auch die Anlaufkurve sehr steil war und kaum Nachbesserungen bei der Umsetzung nötig wurden. Sie haben nämlich die Erkenntnisse aus der Produktion oder der Beschaffung oder aber auch Kundenwünsche von unterschiedlichen Märkten von vornherein in die Entwicklung einfließen lassen.

Ikujiro Nonaka hat sich dann mit diesem Phänomen beschäftigt und seine Bücher über Toyota, und etwas später über die Knowledge Creating Companies geschrieben, dass es einige wettbewerbsfähige Unternehmen gibt, die einen völlig neuen Ansatz bei der Informationsgenerierung und dem Wissensmanagement verfolgen. 

Es fing damit an, dass man bei Toyota nichts mehr machen wollte, von dem man nicht weiß, ob es dafür überhaupt einen Käufer gibt. Einfach auf Teufel komm ‘raus viel zu machen, um später das weniger Nachgefragte mit Rabatten zu verschleudern, bedeutet ja nichts anderes, als dass man seine Arbeitszeit nachträglich verschleudert. Was aus der Sicht des Kaufmanns Sinn macht, macht aus Sicht des Herstellers gar keinen Sinn. Für den Hersteller zählt eher das Zeitfenster, das einem zwischen Kunde und Kunde bleibt. Innerhalb der Zeit muss so viel Wert wie nur möglich erzeugt werden. Just-in-Time arbeitet bewusst mit diesem Zeitfenster, dem sogenannten Kundentakt.

Das hatte Folgen: Wenn die Kundentaktzeit nur 60 Sekunden hat, wie in der Automobilindustrie üblich, ist schon eine halbe Sekunde Unterschied viel. Das ist kürzer als ein Atemzug. Wenn man versucht, die Choreografie der notwendigen Handgriffe innerhalb eines so kurzen Zeitfensters immer raffinierter zu gestalten, geht es nicht auf Anweisung. Das kann keiner, der nicht alle einzelnen Handgriffe selbst kennt und flüssig durchführen kann. Das Team muss sie selber austüfteln und selbst wissen, was es kann und will.

Außerdem führte das dazu, dass man merkte, dann man nichts zwingend einzeln und hintereinander machen muss. Es kann sogar für alle wirtschaftlicher sein, innerhalb des Takts gemeinsam an einem Werkstück zu arbeiten, wenn man “schneller an sein Geld kommt”. Wichtig ist nur die reibungslose Übergabe an den Schnittstellen, damit nichts wartet. 

Und dann war der nächste Schritt, dass man gemerkt hat, dass das Gleiche auch für die Bürobereiche gilt. 

Bevor die Produktdesigninformation in die feste Materie eingetragen werden kann, muss sie natürlich in den Entwicklungsabteilungen komplettiert werden. Was ist der entscheidende wertschöpfende Moment im Kopf eines denkenden Mitarbeiters?  Der Moment, in dem er eine Entscheidung fällt. Bis dahin sucht er sich nur die Entscheidungsgrundlage zusammen. Dann entscheidet er sich kraft seiner Kompetenz für eine Angabe in der Produktdesigninformation. Eine Materialnummer, eine physikalische Angabe, ein Farbcode, eine Kundenmarotte, was auch immer. Wenn seine Entscheidungsgrundlage nicht vollständig ist, kommt er zur falschen Entscheidung, die sich dann aus Kundensicht als Fehler, oder vielleicht besser “Mangel (Tolles Wort, oder?)”  im Produkt manifestiert. Um das zu vermeiden, muss man, oh Wunder, die Menschen rechtzeitig zusammenbringen, weil es hierbei oft genug nicht nur um das explizite, sondern auch ums implizite Wissen geht.  

So geht es viel um das Explizitmachen des impliziten Wissens, aber auch darum, wer von wem, wann, gezielt relevante Denkanstöße bekommt, um zielgerichteter und umfassender für seinen Teil denken zu können. Das führte zu Obeyas, zu den Scrum-Runden, Whiteboards, Fuck-Up-Fridays, Visual Management etc. 

Nonaka hat mehrere Bücher dazu geschrieben, bevor es zu diesem kleinen Artikel in der HBR kam, “The new New product development game”, der die Softwarebranche in den USA inspiriert hat.

Was das “ich zu wir” anbelangt: die Individualisierung hat auch mit der alten Kontrollstruktur der Organisationen zu tun, die auf “divide et impera” gesetzt hat. Die ist wirklich zu hinterfragen. Das alte System hat darauf gesetzt, dass sich die Stärksten durchsetzen und die anderen zentral kontrollierbar bleiben, was nicht anderes bedeutet, als dass die Menschen einzeln kontrolliert, bewertet und gegeneinander ausgespielt werden. Aber das hemmt die Kommunikation und damit den Informationsfluss. Dafür ist es ja auch gedacht. Man will ja unbedingt auch die Kommunikation kontrollieren, um eine unkontrollierte “Zusammenrottung” zu vermeiden, die die Macht gefährdet. Aber wenn der Markt sich dahingehend verändert, dass es wichtig wird, so viele Informationen wie nur möglich ohne unnötigen Aufwand in dem Produkt zu berücksichtigen, ist das mit Einzelkämpfern nicht möglich. Dieses Vom-“ich”-zu-“wir” ist vor diesem Hintergrund zu sehen, denke ich. Der Produzent muss die Ausgangsmaterialien für seinen Denkprozess (also die Grundlage der Produktdesigninformationen) exakter, vollständiger  und rechtzeitig zusammenbringen. Und das gerade deshalb, weil wir gleichzeitig als Konsumenten eher in die entgegengesetzte Richtung der Individualisierung gehen. Das hat Auswirkungen auf die Organisation.

Das Schöne daran ist, dass kein Mensch auf Befehl denken kann. Gedanken sind halt frei, und wenn man darüber nachdenkt: “Wie bekommen wir, so viele Menschen, trotzdem gemeinsam ein Produkt zusammen, von dem wir alle gut leben können?” – dann kommt man dazu, dass man gezielt und viel miteinander reden muss, auch mit dem Kunden, und viele Informationen vielleicht auch über das Auge oder das Ohr oder direkte Gespräche hereinholen muss. Und da der Kunde auch ein Mensch ist, spielt beim Sammeln von Information die Empathie eine Rolle. Das finde ich auch positiv. 

Das mit dem Purpose ist so eine Sache. In den japanischen Firmen ist das schon ganz lange Usus. Vor dreißig Jahren habe ich gehört, dass die Menschen nur dann ihr Bestes geben können, wenn sie ein reines Gewissen haben. Und vor allem muss man sich vorstellen können, wozu etwas überhaupt gut sein soll. Das Stichwort auf japanisch heißt hier Arubeki Sugata. Soll-Sein-Gestalt. Das muss ganz am Anfang stehen. 

“Wie willst du sein, welche Szene schwebt Euch vor, wenn Ihr Euch das Unternehmen in fünf Jahren vorstellt? Wie sehen die Gesichter der Menschen in Eurer Vorstellung aus?”

Wenn ich diese Übung in Unternehmen mache, dann ist es erschreckend, wie ratlos in manchen Führungskreisen die Leute gucken. 

Erst wenn alle miteinander wissen, wie man gemeinsam sein möchte, was man gemeinsam als Unternehmen für den Kunden verkörpern möchte, kann man sich vorstellen, wie man etwas anstellen möchte und dann weiß ich, was ich dazu brauche. Und dann erst kann ich zielgerichtet meine Energien einsetzen. Wenn ich das nicht mache, sondern mich erst einmal frage, was andere von mir wollen, dann passieren solche Sachen wie der Dieselskandal, nicht wahr? Und dann sagen so viele fähige Menschen: “Ich habe es gar nicht gewollt!” So viele Sekunden und Minuten in der Linie beim Monteur eingespart, und dann soviel Geld unnötig verschleudert!

Wenn man es richtig macht, dann kann Purpose sehr gut sein. Wenn das aber nur so eine Modeerscheinung ist, die intern gar nicht ernst genommen wird (und das erkennt man oft daran, dass daraus das Verhältnis zum Kunden nicht herausgeht – obwohl es letztendlich doch ums Geschäft geht), weil sie von den Leuten selbst immer wieder konterkariert wird, dann ist das absolut “unnötig”.

Danke Dir für die differenzierte Sicht auf diese Begriffe! Kommen wir damit zur vorletzten Frage. Sehr viele reden über den Begriff der Agilität und erhoffen sich Wunder davon. Wie schaust Du das “Lean”-Expertin auf diese Entwicklung? Warum ist “Agile” so populär? Meine Hypothese lautet: Die Zeit für “Lean” war noch nicht reif für die Wissensarbeit und insbesondere für den Bereich der Softwareentwicklung. Und so wurde “Agile” erfunden.

Mari: Wenn man sich im Netz umschaut, dann sieht man, dass auch unter “Agile” alles mögliche herumschwirrt und vieles verkündet wird, was gar nicht zu Ende gedacht ist. Unter den Begriffen “Lean” und “Agile” versteckt sich meiner Ansicht nach die Idee von der Knowledge Creating Company. Je nach Epoche, wann sich die Amerikaner mit dieser Organisationsform beschäftigt haben, haben sie darin etwas gesehen,  womit sie die Nachteile des Gutsherrenansatzes der tayloristischen Organisation überwinden könnten. Aber in der aktuellen Debatte schießen viele über das Ziel hinaus, wenn sie wieder einmal rein theoretisch alte Utopien zum Leben erwecken und das Handwerkliche völlig außer Acht lassen. 

Ich finde es schon wichtig, dass man sich ganz klar macht, welche Historie dahinter steckt.

Aus meiner Sicht muss man sich vor Augen halten, dass auch diese Agilität seinen Ur-Ursprung in der Grundidee von Taiichi Ohnos TPS hat, der gesagt hat, das Extremziel eines Produzenten sei es, wie ein Ninja zu sein, der dem Kunden, wenn dieser etwas verlangt, egal was, quasi auf Fingerschnipp das Produkt zusammenfügen und in die Hand drücken kann. Ninja deshalb, weil dieser scheinbar Unmögliches möglich gemacht habe durch pures Training.

Das ist die ultimative Agilität als Gesamtorganisation – auf jegliche Marktanforderung auf der Stelle adäquat reagieren und antworten zu können.

Und wenn man das zu Ende denkt, muss man aufhören, Informationsstrukturen aus dem 18.Jahrhundert in den Arbeitsorganisationen aufrechtzuerhalten. 

Das ist der Grund für die Popularität von Lean oder Agile. Weil alle merken, okay, damit lassen sich vielleicht alte Zöpfe abschneiden, ohne dass es uns schadet, sondern im Gegenteil, es uns besser geht.

Man muss nur aufpassen, dass man mit solchen Teilerkenntnissen aus dem Gesamtsystem nicht das alte System stärkt. Mir fällt auf, dass das “Agile” im Moment in den Bürobereichen Mode ist, aber viele gar nicht wissen, wie man diese Denke mit der Produktion von Hardware zusammenbringt.

Und dann passieren solche Sachen, dass man die alte Hierarchie wie “Entwicklung sagt Produktion was zu tun ist” weiter beibehält und dann nach dem Produktionsanlauf die gleichen alten Probleme hat – dass dann wichtige Produktdesigninformationen gar nicht zügig in das Produkt hineinfinden. 

Oder wenn es jetzt heißt, wir müssen früh genug den Kunden in die Entwicklung einbinden, dann heißt es nicht, dass man unvollständige Produktdesigninformationen in ein so träges Medium wie Stahl eintragen kann, um zu gucken, wie zufrieden der Kunde ist. Wenn das Medium träge und teuer ist, dann ist nach dem Eintrag eine Korrektur viel zu teuer, weil man das Medium verschrotten muss. Womöglich hängen ja noch Kosten und vor allem die Zeit für das extra zu konstruierende Presswerkzeug etc. noch hintendran. Die Informationsgenerierung ist auf diese Weise bestimmt nicht “agile”. Das ist nur noch das, was Robert Bosch “Pfusch” oder “Murks” genannt hätte. 

Oder dass manche denken, okay, wir bringen mit Agile die Entwicklungsabteilung auf Vordermann und dann lassen wir überall dort produzieren, wo es billiger ist, es gibt ja die digitale Kommunikation. Und verzichtet dadurch auf den direkten Informationsrückfluss, ob das, was man sich gedacht hat, tatsächlich auch optimal funktioniert. Und hat wieder die alte Anweisungsstruktur.

Dann gibt es ja wieder Leute, die ungewollt immer noch dieses “Divide et impera” aufrechterhalten, indem sie denken, “agile” würde das Unternehmen dadurch, wenn man jeden einzelnen Menschen optimiert. Es gibt ja ganze Seminare darüber. Jetzt müssten alle Menschen ein neues Agile Mindset entwickeln. Da ist der Gedanke, dass jeder Mensch ein perfektes Rädchen in einer tollen ausgetüftelten Maschinerie sein muss, immer noch lebendig. Dabei geht es bei dieser Geschichte gar nicht um einen “neuen Menschen”. 

So wie die Diskussion im Moment geführt wird, werden oft die wichtigsten Punkte der Knowledge Creating Company außer Acht gelassen. “Agile” ist im Zuge der Digitalisierungsdebatte nach Deutschland gekommen, hat aber nicht zwingend mit der Digitalisierung oder mit Computern zu tun. Es geht eher um den grundsätzlichen Umgang mit Informationen und dass der Mensch entdeckt hat, dass hinter allen Artefakten und den Bewegungen dieser Artefakte, einschließlich deren Entstehung, Informationen stehen, die erst erzeugt werden müssen. Dass die Digitalisierung dem Menschen dabei neue Möglichkeiten eröffnet steht außer Frage. Aber entscheidend ist die Rolle des Menschen im Wertentstehungsprozess. Werte entstehen nicht außerhalb, sondern immer nur zwischen Menschen. Es ist der Mensch, der entscheidet, ob etwas für ihn einen Wert hat oder nicht.

Die Knowledge Creating Company hebt die leidige personelle/persönliche Trennung zwischen Kopf und Hand aus der Gutsherrenzeit auf. Und sie stellt die Mechanismen, die zur Sicherung des Machtgefüges etabliert waren in Frage, weil sie den Informationsfluss behindern. Und stellt stattdessen das gemeinsame Ziel der Menschen in den Mittelpunkt aller Überlegungen. Deshalb Purpose. Dafür muss sich die Menschheit nicht neu erfinden. Der Mensch muss sich nur entsinnen, was Mensch eigentlich kann und will. Geschicklichkeit ist ganzheitlich. 

Wenn ich Artefakte beherrschen will, dann muss ich aufhören zu denken, dass sich die Tücke des Objekts durch Denken beherrschen lässt. Man muss es begreifen. Das Handwerk musste man schon immer verstehen. Es ist etwas anderes, als es nur gelernt zu haben. 

Wenn man die Trennung von Kopf und Hand aufrechterhält und nur die Kopfarbeit durch Agile “effizient” und “effektiv” macht, dann bleibt der wirkliche Hebel dieses Denkens auf halbem Weg ungenutzt, und dann ziehen wieder andere (vielleicht dann aus China), die es wirklich begriffen haben, an einem vorbei.

Toyota hat zum Beispiel in ihrem Hauptwerk ein System aufgebaut, in dem die besten Handwerker aller ihrer Werke zusammen geholt werden, um ihre Computerprogramme für die Auslandswerke permanent weiterzuentwickeln. Sie wollen in Ländern, wo sie die Mitarbeiter nicht so zuverlässig schulen können, verstärkt Roboter einsetzen. Die IT-Leute haben die Rolle des Übersetzers und sollen mit den Handwerkern gemeinsam überlegen. Sie übertragen die Erkenntnisse der eigenen Spitzenhandwerker in die Sprache, die der Roboter versteht, und sie tüfteln gemeinsam an den Programmen. In einer Fabrik bauen sie extra die Autos komplett per Hand zusammen. Um Erkenntnisse und Ideen zu sammeln, die in die Roboter einfließen. Und sie haben jetzt als Vizepräsidenten jemanden, der den Automobilbau von der Pike auf gelernt hat. Sie kultivieren das auch, denn angeblich geht er seit seinem 15.Lebensjahr jeden Morgen in das gemeinsame Badehaus der Gießerei baden, und in einem Interview sagt er: “Es wächst eine Generation heran, die glaubt, dass gute Produkte auf Knopfdruck entstehen können. Das ist ein Irrtum. Dieses Denken darf nicht in der Organisation überhand nehmen. Dafür bin ich da. Gute Produkte zu machen ist und bleibt schwer” – Ich denke, dass das eine Kernbotschaft ist.

Zu wissen, was die Dinge tun sollten, bedeutet noch lange nicht, dass man etwas beherrscht. Gutes Handwerk ist nicht Wissen, sondern Können. Und nur der, der die Dinge (sein “Zeug”, sage ich gern) beherrscht, hat keinen unnötigen Aufwand. Eine Organisation, die auf das Können ausgerichtet ist, ist wettbewerbsstärker als eine, die nur auf das Wissen setzt. 

Das Entscheidende wird, so ist mein Eindruck, von vielen noch gar nicht wahrgenommen. Dass dieses wissensanreichernde System deshalb so wirtschaftlich ist, weil es nicht nur auf die zügige Wissensgenerierung und Umsetzung setzt, sondern selbst zu einem dynamischen Wissensspeicher wird. Alle können immer da weiterdenken, wo jemand vorher aufgehört hat. Man muss sich nichts mehr immer wieder neu aus den Fingern saugen. Und es gibt keine Gruppierungen in der Organisation mehr, die anderen vorsagt, was sie zu wissen haben. Und trotzdem können alle gemäß ihrer Kompetenz ihr Wissen schnittstellengenau zusammenfügen.  

Dieser Punkt, dass es immer nur dann wirtschaftlich ist, wenn das Rad nicht immer wieder neu erfunden werden muss, obwohl man absolut flexibel auf neue Anforderungen reagieren kann,  wird bei “agile” oft übersehen.

Kernpunkt ist der sehr spezielle Umgang dieser wissensanreichernden Systeme mit der Komplexität und der Rolle der Standards. Um das zu erklären reicht hier natürlich der Platz nicht aus.

 “Lean” und “Agile” sind nur ein kleiner Ausschnitt eines Wandels, dessen revolutionäres  Ausmaß nur von wenigen wirklich erkannt worden ist. Das was von “lean” bislang vor allem in Deutschland bekannt ist, ist wirklich nur ein winziger Bruchteil und zu 80% eine Fehlinterpretation, weil viel zu oberflächlich. Kein Wunder, es ist ja auch keine Originalliteratur übersetzt, und wenn, dann immer nur aus dem Englischen. Die deutsche Übersetzung von Taiichi Ohno ist eine Katastrophe. Ich könnte fast jeden Satz anstreichen.

Man muss sich auch klar werden: In den USA hat sich “Agile” deshalb durchgesetzt, weil die Softwarebranche die einzige war, in der die Unternehmen freie Hand hatten, nicht-tayloristische Organisationsformen durchzusetzen. 

Aber es steckt noch viel, viel mehr dahinter.

Mit der letzten Frage mache ich wahrscheinlich ein neues Fass auf – und möchte Dir das Schlusswort überreichen. Wir beide haben immer wieder den Begriff Lean in Anführungszeichen geschrieben. Daher: Welcher knackige Begriff in deutscher Sprache könnte den Begriff Lean ersetzen? 

Mari: Etwas knackiges ist mir leider noch nicht dazu eingefallen. Monozukuri, Dinge-Macher war schon ein sehr treffender Begriff. Es geht hier um eine Ökonomie der Dinge-Macher, aber was meinst Du? Es ist ein Gegenentwurf zur Ökonomie der Kaufleute. Die Antwort des Handwerks auf die Industrialisierung. Aber mir wird schon etwas einfallen. Man muss nur lange genug danach suchen, denke ich.  

 

 


6 responses to “Interview mit Mari Furukawa-Caspary”

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