Kapazitäten planen


Warum verschätzen wir uns so oft?

In meiner Praxis begegnet mir immer wieder ein Thema, ganz gleich ob es um einen agilen oder “normalen” Kontext geht: Die leidige Aufgabe der Kapazitätsplanung. Klar ist: Ohne Kenntnis der eigenen Kapazität ist es schwer bis unmöglich, relativ verlässliche Aussage zur eigenen Lieferfähigkeit zu treffen. Nun möchte ich in diesem Post weder auf Komplexität und kognitive Verzerrungen eingehen, die zu Fehleinschätzungen und Irrtümern führen, noch will ich über Story Points und agiles Schätzen schreiben. Es geht um einen anderen Ansatz, der eher grundsätzlicher Natur ist.

Was ist eigentlich im Topf?

Der Mehrwert dieses Posts soll darin bestehen, anhand einer einfachen (beispielhaften) Rechnung zu demonstrieren, dass oft nicht über die grundsätzlichen Rahmenbedingungen nachgedacht wird. Doch ohne Rahmen weiß ich nicht, was “realistisch” im Topf sein müsste. Denn bei aller Komplexität kann man nach meinem Dafürhalten sehr wohl ein grobes Kontingent bestimmen, welches zur direkten Produktion von Mehrwerten für Kunden zur Verfügung steht. Mensch kann es nicht perfekt quantifizieren, jedoch eingrenzen.

Oh Nein, er hat Excel gesagt!

Das folgende Beispiel entstammt der Praxis und diente dazu einem Product Owner zu vermitteln, mit welcher Kapazität er überhaupt grob rechnen kann. Der entsprechende Mensch war darüber frustriert, dass am Ende des Sprints immer noch zu viele User Stories/Aufgaben übrig blieben. Epics/Aufgabenpakete wurde nicht fertig und die Stimmung im Team war gedrückt. Jeder hatte den Eindruck das alle ihr bestes geben und trotzdem nichts richtig fertig wurde (Hinweis: Ein WIP-Limit war schon im Einsatz!).

Daraufhin schnappte ich mir Excel, um anhand belastbarer Annahmen und eigener Beobachtungen dem Product Owner zu demonstrieren, dass dieser sich bzgl. der  Teamkapazität um den Faktor 2 verschätzte, weshalb ca. 50% der Aufgaben nicht erledigt wurden.

Die Struktur der Excel-Tabelle gestaltet sich folgendermaßen:

 


Kapaplanung Beispielrechnung

Alle Angaben auf ein Jahr bezogen
Arbeitstage in NRW (2019)
abzüglich
Urlaubstage
Krankheit
Resttage
Einflussfaktoren (p.a.)
Externe Weiterbildung
Interne Weiterbildung
Boarding neuer MA
Themen Ownership
Administrative Aufgaben (p.a.)
Abteilung-Regeltermine
Abteilung-Sondertermine
Zeiterfassung
Zwischensumme “Planbare” Restzeit in Tagen
Weitere Faktoren (Beeinflussung in %)
Adhoc-Aufgaben
Wegezeiten
Informelle Gespräche
Externe Steigerung der Komplexität durch Zeit- und Kostendruck, unklare  Erwartungen und Präferenzen der Stakeholder, etc.
Interne Steigerung der Komplexität durch Zeitdruck, unrealistische Lieferversprechen, unklare interne Erwartungen, immer noch zu viele parallele Themen/Epics, schlechte Priorisierung, Unerfahrenheit “in einer Sache”, etc.
Summe in Tagen durch weitere Faktoren
Mögliche Restarbeitszeit in Tagen p.a.

 

Mit dieser Struktur sind soweit die maßgeblichen Rahmenbedingungen erfasst worden, die einen Einfluss auf den Faktor Zeit haben. Die Befüllung dieser Struktur und Berechnung der “möglichen Restarbeitszeit” ist dann relativ einfach – und bleibt natürlich immer noch eine Schätzung und darf niemals für bare Münze genommen werden! Allerdings vermittelt die Berechnung hoffentlich ein Gefühl dafür, welche zeitlichen Rahmenbedingungen überhaupt zur Verfügung stehen.

Im Sinne einer Leitplanke half die Kalkulation dabei, mit wesentlich mehr Demut zu planen und lieber Qualität an die Kunden zu liefern, als permanent im Hamsterrad auf der Stelle zu laufen. Am Ende des Tages war es natürlich die Reflexion über die Struktur die dabei half, bestehende Verhaltens- und Denkmuster zu hinterfragen, und nicht die exakten numerischen Werte. Es ging in dieser Übung eher um ein herantasten an den Sachverhalt, als irgendeine Stelle hinter dem Komma!

 

Daumenregel: Plane höchstens mit 50% Deiner Kapazität!

Diese persönliche Heuristik entspricht ungefähr dem Wert der am Schluss herauskam, als alle Werte eingetragen wurden – es war am Ende sogar noch weniger:

 


Kapaplanung Beispielrechnung

Angaben auf ein Jahr bezogen
Tage
AT in NRW (2019)250100%
abzüglich
Urlaubstage30
Krankheit5
Resttage215
Einflussfaktoren (p.a.)
Externe Weiterbildung5
Interne Weiterbildung5
Boarding neuer MA2
Themen Ownership2
Administrative Aufgaben (p.a.)
Abteilung-Regeltermine10
Abteilung-Sondertermine10
Zeiterfassung1
“Planbare” Restzeit in Tagen18083,72%
Weitere Faktoren (Beeinflussung in %)
Prozent
Adhoc-Aufgaben5,00
Wegezeiten5,00
Informelle Gespräche5,00
 

Externe Steigerung der Komplexität durch Zeit- und Kostendruck, unklare  Erwartungen und Präferenzen der Stakeholder, etc.

 

20,00
 

Interne Steigerung der Komplexität durch Zeitdruck, unrealistische Lieferversprechen, unklare interne Erwartungen, immer noch zu viele parallele Themen/Epics, schlechte Priorisierung, Unerfahrenheit “in einer Sache”, etc.

 

10,00
Summe in Tagen durch weitere Faktoren81
Mögliche Restarbeitszeit in Tagen p.a.9939,60%

 

Fazit

Mithilfe dieser Denkübung wurde ein Prozess in Gang gesetzt die erkannten “Zeitfresser” zu hinterfragen, und je nach Kontext entsprechende Maßnahmen umzusetzen, die dem Team mehr Freiräume für wertgenerierende Tätigkeiten ermöglichen. Gerade wenn eine humane Arbeitsgestaltung erreicht werden soll, muss das Thema der Kapazität geklärt werden. Natürlich geht das in großen Organisationen nicht immer alles über Nacht, aber mit etwas Ausdauer sind in diesem Beispiel Verbesserungen erreicht worden, um eine gute Balance zwischen Schätzen und Liefern zu erlangen, und die Kunden mit Qualität zu überzeugen.

Wer will: Hier die Excel für eigene Experimente zum Download.

Freu’ mich über Kritik und Lob.


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