Rollen in Netzwerken


Macht im System – Rollen im Netzwerk

Im vorherigen Blogpost habe dargelegt, warum heutige Organisationen bereits als Netzwerke fungieren und daher auch als solche betrachtet werden sollten. In diesem Post möchte ich das Netzwerkrollen-Konzept von Gould und Fernandez (1989) und das von Peter Kruse vorstellen, damit ein weiteres Missverständnis über Netzwerke aus dem Weg geräumt werden kann.

Es geht um die irrige Annahme, dass Netzwerke per se eine bessere Verteilung von Macht gewährleisten würden als die klassische Hierarchie-Denke, die vom Organigramm ausgeht. Das ist mit Verlaub Quatsch, denn in jedem vernetzten System bilden sich “Schwerpunkte” (Entscheidungsstrukturen) in Form von Konzentration von Macht. Das ist auch erstmal nichts schlimmes, weil man NIE NIE NIE die Logik von Macht mit dem Missbrauch von Macht verwechseln darf.

Die von Fernandez und Gould abgeleiteten (Vermittler-)Rollen in Netzwerken sind daher auch erstmal Wertungsfrei zu betrachten. So macht die Rolle eines Gatekeepers in einem komplexen System durchaus Sinn – ein Ausfiltern von hereinströmender Information ist notwendig, um das wichtige vom unwichtigen zu trennen.

Kurzvorstellung der Netzwerkrollen nach Gould und Fernandez

Grundsätzlich sind die Rollen hinsichtlich ihrer Orientierung zu unterscheiden. Die Rollen des Koordinators und des Gatekeepers sind nach innen gerichtet, während die Rollen des Repräsentanten, Beraters und Verbindungsgliedes eher nach außen orientiert sind.

 

Koordinator

Zwei Kollegen innerhalb des Systems werden miteinander verbunden, die zuvor nichts miteinander zu tun hatten. Der Informationsfluss wird durch den Koordinator sichergestellt.


 

Gatekeeper

Der Gatekeeper scannt die in das System hereinströmenden Informationen und läßt eine Auswahl davon in das Teilsystem hinein. Er übernimmt eine Filterfunktion und entscheidet über das interne Wissen bzw. den Informationsstand in einer Einheit.


 

Repräsentant

Dieser sammelt Informationen innerhalb einer Einheit und leitet diese an eine andere Einheit weiter. Er ist somit nach außen hin der Stellvertreter des Wissens seiner Einheit.


 

Berater

Diese Rolle verbindet zwei Kollegen derselben Einheit, zu welcher der Berater selber nicht gehört. Der Informationsfluss und die Erhöhung der Qualität der Information steht im Vordergrund.


 

Verbindungsglied

In dieser Rolle werden zwei Einheiten durch ein Verbindungsglied verbunden, die nicht zur gleichen Einheit gehören. In dieser Dreiecksbeziehung werden also drei unterschiedliche Einheiten miteinander verbunden.


 

Rollen im Netzwerk nach Peter Kruse

Das hier vorgestellte Konzept von Gould/Fernandez ist nur eines von vielen möglichen Interpretationen der Rollen in einem Netzwerk (oder System). Um eine weitere Perspektive einzubringen möchte ich den Ansatz von Peter Kruse kurz vorstellen. Er unterscheidet nach …

… dem Creator, das ist der Störer bzw. Spinner der immer mit neuen Ideen um die Ecke kommt,

… dem Owner, der dem Experten entspricht und ein Wissenseigner ist und die Details einer Sache versteht,

… dem Broker, der selbst zwar kein tiefes Wissen zu einer Sache aufweist, aber Leute kennt die das fehlende Wissen oder die Mittel besitzen und somit wie ein Vernetzer agiert.

Peter Kruse suchte bei der Zusammenstellung eines Teams immer nach diesen drei Typen, um die Grundfunktionen des menschlichen Gehirns nachzubilden, damit die Fähigkeit zur Lösungsfindung eines Systems gefördert wird. Laut Kruse sind “harmonische Systeme dumme Systeme“, denen die Impulse zur Veränderung fehlen. Dieser Ansatz geht davon aus, dass sich kreative bewusst Systeme stören lassen, weil nur so Innovation entstehen kann – in traditionellen Unternehmen ist das mit dem konstruktiven Ungehorsam eher seltener der Fall. Da scheinen ausschließlich die Experten (Owner) zu regieren, während der Creator zu kurz kommt.

Eine kurze Reflexion auf die Rollen und ihre Auswirkungen auf Organisationen

Die oben genannten Rollen machen deutlich, wie Informations- und damit Entscheidungsflüsse in einem Netzwerk zum Vorteil des Gesamtsystems, oder zum persönlichen Vorteil missbraucht werden können. Besonders heikel ist im Konzept von Gould/Fernandez die Zusammenführung der Rollen des Gatekeepers und Koordinators, wenn also die Informationsselektion und Anweisung per Information in einer Person vereinigt ist. Gleichwohl ist das im Management heutzutage der Normalzustand. Dies gilt auch für die Kombination von Gatekeeper und Repräsentant – auch dies ist eine ideale Brutstätte für systemische Korruption, Selbstzensur und Unterwerfung. Ebenso kann in Peter Kruses Konzept ein Missbrauch der Rollen wie oben dargelegt stattfinden.

Zusätzlich wird es fies, wenn man mal die Systemtheorie beiseite legt und sich ganz platt die ökonomischen Abhängigkeiten in der Organisation anschaut… So ist es kein Wunder das der HIPPO-Effekt immer wieder anzutreffen ist: Es zählt die Meinung der am höchstbezahlten Person im Raum (Highest Paid Person’s Opinion). Hier passt ein Zitat von Upton Sinclair: “Es ist schwierig jemanden dazu zu bringen etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht.”

Macht ist immer ein Thema

Der vielfach interpretierbare Begriff der Macht ist in Netzwerken also sehr wohl präsent, sodass die naive Forderung nach “mehr Netzwerk” nicht die Lösung für den Missbrauch von Macht darstellt. Der pauschale Ruf nach mehr Vernetzung (Vermaschung) ist ebenso nicht zielführend, da gerade in übervermaschten Netzwerken viel Zeit für die Aufrechterhaltung der vielen Beziehungen für die Akteure flöten geht. Man operiert am Rande des Zusammenbruchs.

Machtzentren im Sinne von Schwerpunkten (Attraktoren, Center of Gravity) sind mithin ein einfacher Weg den Vernetzungsgrad in der Organisation optimal zu vereinfachen (das heisst jedoch es nicht zu einfach zu machen!). Wichtig: Die Funktion von Macht bitte nicht mit der Art und Weise verwechseln, wie diese ausgeübt wird (zum Beispiel durch partizipatives Management statt Top-Down) und gleichzeitig sich bewusst sein, dass jede Art der Entscheidungsstruktur Vor- und Nachteile mit sich bringt. Deswegen ist der Umgang mit Macht/Führung in Netzwerken natürlich weiterhin situativ – eine Blaupause kann es gar nicht geben, egal ob man sich als klassisch-hierarchische Organisation oder als Netzwerk versteht: Es kommt immer auf den Kontext und die notwendige Kompetenz an – und die eigenen Werte und das Menschenbild. Aber das möchte ich in diesem Post, der von Netzwerken handeln soll, nicht weiter ausführen.

Nach der Theorie – was heißt das für die Praxis?

Reflektierte Praktiker mögen sich nun fragen, was man mit diesen Erkenntnissen konkret tun kann. Weiterhin liegt die Frage nahe, wie man in einer sehr großen Organisation die unzähligen Netzwerke noch im Überblick behalten soll. Alleine die Abbildung der Struktur ist eine gigantische Aufgabe; wie soll man da auch noch die Rollen, Meetings, oder Aufgaben überschauen?

Neue Sichtweisen mit dem Viable System Model erlangen

Das VSM bietet sich als Referenzrahmen für die Gestaltung eines Netzwerkes an, da mittels der rekursiven Logik des Modells und den enthaltenen Funktionen der Lebensfähigkeit eine Grundordnung relativ leicht ableitbar ist. In großen Organisationen kann diese Aufgabe allerdings nur mit mehreren Teams hinreichend erledigt werden, um Klarheit bezüglich der Prozesse, Zuständigkeiten oder verwendeten Werkzeuge zu kriegen. Die Arbeit mit dem Modell ist eine zutiefst multiperspektivische Veranstaltung – Ashby’s Law winkt mal wieder freundlich.

Zu guter Letzt sei noch darauf hingewiesen, dass es bei der Arbeit mit dem VSM nicht darauf ankommt jedes Detail mit dem Modell zu beschreiben. Es wäre tödlich 10.000 Excelsheets und Visio-Diagramme zu produzieren, die danach kein Mensch mehr benutzt. Hier kommt eine ganz andere Idee ins Spiel, über die ich weiter brüte.

 


2 responses to “Rollen in Netzwerken”

  1. Lieber Mark,

    es ist immer wieder erfrischend deine Gedanken und Theorien zu lesen. Ich frage mich gerade, wer ist ein guter Netzwerker? Könnte es derjenige sein, der die Klaviatur der oben beschriebenen Rollen alle spielen kann?

    Dir schöne besinnliche Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr
    Liebe Grüße
    Manfred

    P.S. In dem Feld Website konnte ich meine Website nicht erfassen: http://www.agile-blacksmith.de

    • Lieben Dank Manfred!

      Tja, das mit dem situativen spielen mit Rollen scheint mir eine mögliche Lesart zu sein. Vielleicht kann man auch sagen, dass erst “richtige” Kombination von Rollen und Menschen ein Netzwerk ergibt, dass es also den den “einen guten” Netzwerker gar nicht gibt. Ich muss gestehen: Da gibt es noch eine Menge Literatur aus der Soziologie, durch die ich nicht durch bin. Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Netzwerktheorie_%28Soziologie%29

      Und dito einen guten Rutsch und alles was dazu gehört!

      LG,
      Mark

      PS: Das muss ein Spamschutz-Hickup gewesen sein.

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